Ein Tag im Leben eines Alpensteinbocks

Ein Berggrat. Links und rechts geht es steil hinunter, als sich plötzlich vor dem jungen Steinbockmännchen ein Abgrund auftut. Gut und gerne acht Meter muss das junge Tier überwinden, um wieder sicher zu seiner Herde zu gelangen, die er in den frühen Morgenstunden eines sonnigen Frühlingstages aus den Augen verloren hat. Sein dichtes, dunkelbraunes Fell glänzt in der Sonne, als er sich duckt, seinen mächtigen Körper anspannt und schließlich abspringt. Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde es das Tier nicht schaffen und in den Tod stürzen. Doch dann kracht der junge Steinbock mit einer ungeheuren Wucht auf den Felsen und kann sich mit seinen Hufen gerade noch festhalten. Alpensteinböcke sind wahre Kletterkünstler. Mit ihrer stark ausgeprägten Beinmuskulatur und dem niedrigen Körperschwerpunkt sind sie wie dafür gemacht, auf den steilsten Felsbändern und alpinen Grasmatten auf Nahrungssuche zu gehen. Die Nahrung von Steinböcken besteht größtenteils aus niedrigen Holz- bzw. Strauchgewächsen, Gräsern und Kräutern. Allgemein lässt sich sagen, dass die auffälligen Tiere sehr wählerisch in Sachen Nahrung sind. Der Lebensraum des Steinbocks, der bis zu 20 Jahre alt werden kann, befindet sich zwischen der Wald- und Eisgrenze, etwa zwischen 1.800 und 2.800 Meter. Sommer wie Winter steigt er jedoch auch gerne in tiefere Lagen ab, da dort das Nahrungsangebot an saftigen Kräutern und Gräsern besser ist als in den kargen Höhen der Alpen.

Heutzutage gelten die Bestände bzw. Populationen als stabil und gesichert. Dies war jedoch nicht immer so. Der Alpensteinbock galt in früheren Zeiten als ein mystisches, geheimnisumwobenes Tier. Als Folge dessen wurden fast alle verwertbaren Teile des Tieres als Medizin bzw. Heilsbringer gegen verschiedenste Krankheiten eingesetzt und die Art wurde nahezu ausgerottet. Außerdem wurden die Tiere durch die Erfindung von Gewehren und anderen Handfeuerwaffen sehr stark bejagt, da die Jäger die mächtigen Hörner als Trophäe in ihren Besitz bringen wollten. Nach dem Schreck mit dem Fast-Absturz braucht der junge Steinbock erstmal eine Stärkung in Form von ein paar saftigen Alpenkräutern. Er kaut gerade die letzten Halme Alpenminze, als er an einem Wildbach seine Herde entdeckt. Aufgeregt und voller Vorfreude springt er zu ihnen hinüber und rennt direkt zu seinem Weibchen, das er sich im vorigen Winter hart erkämpft hat. Noch heute sieht man die Furchen und Kratzer überall am Körper des Bocks. Das Männchen, das er besiegte, hat das Weite gesucht und sich einer anderen Herde angeschlossen. Kaum ist er bei seinem Weibchen angekommen, da springen auch schon seine Jungen herbei, und die kleine Gruppe macht sich wieder auf, um im nächsten Moment mit den grauen Felsen zu verschmelzen.