Auf Cochises Spuren

Vor zwei Jahren begab ich mich auf eines der größten Abenteuer, ich reiste allein für ein halbes Jahr in die USA, genauer gesagt in den Südwesten nach Arizona. Hier arbeitete ich in verschiedenen Nationalparks, National Monuments…Dieses Abenteuer inspirierte mich später, meinen jetzigen Studiengang zu starten. Ein Abenteuer aus dieser Zeit bleibt mir bis heute in Erinnerung: mein allererstes Projekt im relativ unbekannten National Monument Chiricahua. Es war 6 Uhr in der Früh, für die meisten von uns sollte es das erste Projekt sein, auf das wir gingen. Zwar plagte einige noch der Jetlag, da wir erst vier Tage zuvor in den USA angekommen waren, doch in gespannter Erwartung packte jeder seinen riesigen Wanderrucksack. Man musste sich auf jede Wetterlage einstellen, weshalb ich im nach hinein betrachtet viel zu viel einpackte (wer konnte denn wissen, dass ich Socken tatsächlich länger als einen Tag tragen würde?). Ich schnürte meine nagelneuen Wanderschuhe und schon wurden wir abgeholt. In einem riesigen Suburban ging es für sechs Crewmitglieder und einen Crewleader gen Süden. Da wir in Flagstaff, einer größeren Stadt im Norden Arizonas, wohnten, deren Landschaft von riesigen Nadelwäldern und Bergen geprägt ist, staunten wir nicht schlecht, als wir in die immer trockenen und heißeren Teile Arizonas vordrangen. Die Landschaft wurde dominiert von riesigen Kakteen, braunrotem trockenem Boden und endloser Weite. Nachdem wir Phoenix passierten und uns auf den einsamen Highways durchschlugen, wussten wir, dass wir endlich angekommen waren.

Wir erreichten die Tore Chiricahuas, eines Tals umringt von riesigen graugelblichen Bergen mit außergewöhnlichen Felsformationen. Das Tal selbst ist durchzogen von Wiesen und Bäumen, wie eine Oase mitten in der Wüste. Unser Staunen wurde auf jähe Weise unterbrochen, als wir etwas Braunes im Unterholz sich bewegen sahen. Wir trauten unseren Augen kaum, als nur 15 Meter entfernt eine Bärenmutter mit ihren zwei Kleinen auftauchte und unsere Fahrt kurze Zeit begleitete. Schnell verschwanden die Drei wieder im Unterholz, doch es soll nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir sie sahen. Unser Camp schlugen wir außerhalb des Monuments auf einem dafür vorgesehenen Campingplatz auf, es folgte ein kurzes Briefing zu all den Tieren, die uns hier begegnen könnten. Bei einem Bären hieß es Ruhe zu bewahren und hastige Bewegungen zu vermeiden, begegnete man einem aggressiven Puma, hieß es: mit der Faust ausholen und so kräftig es geht auf die Schnauze hauen. Das mittlere Dixie-Klo sollte vermieden werden, da es sich dort eine schwarze Witwe heimisch gemacht hatte. Als letztes wurden wir vor den Klapperschlangen gewarnt, denn seit einiger Zeit verlieren viele aus unerklärlichen Gründen ihre Rassel und damit ihre Warnung, falls man ihnen zu nah kommen sollte. Wir waren zwar nicht komplett von der Zivilisation abgeschnitten und man stirbt nicht unbedingt an einem Biss, doch Spaß macht es trotzdem nicht. Nachdem wir alle endlich unsere Zelte aufgebaut hatten, gab es das erste Abendessen in der Wildnis. Am Lagerfeuer sitzend, vor uns die Berge, hinter uns die endlose Weite und ein Blick auf die Milchstraße, den ich mir nie hätte erträumen lassen, wurden wir schläfrig und machten uns auf durch das Dickicht, das unsere Zelte umgab, und schliefen erschöpft von den ersten Eindrücken ein. Es war 5 Uhr morgens, als über dem Camp eine Melodie erklang. Auf einer Flöte spielte jemand alte, längst vergessene Lieder von Indianervölkern. Noch nie wurde ich so geweckt, mich hätte es nicht gewundert, wär ich Winnetou auf dem Weg zur Toilette begegnet. Verschlafen und doch auf jeden Schritt bedacht machten wir uns auf zum Essenszelt, heißes Wasser wurde schon vom Crewleader aufgesetzt, um wenigstens hier ein bisschen Wärme zu garantieren. Tagsüber schwitzten wir vielleicht noch, doch nachts kann der trockene Boden keine Wärme halten, weshalb wir alle froh waren, unseren heißen Tee in der Hand zu halten. Über die staubige Straße fuhren wir wieder in das Monument um eine offizielle Einführung des Rangers zu bekommen. Eine Gefahr, die uns allen nicht bewusst war, war die Nähe der mexikanischen Grenze. Viele illegale Einwanderer würden die Wildnis nutzen, um schnell und ungesehen über die Grenze zu kommen. Einige davon seien nicht friedlich gestimmt, wenn man auf sie trifft. Mit diesem Wissen machten wir uns auf zu unserer ersten Arbeitsstelle, dem „Massai Point“. Wir erblickten zum ersten Mal die eigenartigen Felsformationen, die Chiricahua so einzigartig machen. Riesige, grünlich gelbe Felssäulen sind im ganzen Tal verteilt, durch Wind und Wetter über Jahrtausende geformt. Lange durften wir diesen Ausblick leider nicht genießen, da es nun galt in dieses Tal zu wandern, um eine Arbeitsstelle zu erreichen. Dort mussten wir einige Werkzeuge aus dem Tal zum Auto bringen.

Recht schnell wurde uns klar, dass wir im Verhältnis zu den Rangern überhaupt keine Kondition hatten, unsere Lungen hatten sich noch lange nicht an den Höhenunterschied und das Erklimmen der Höhenmeter gewöhnt. Dementsprechend schnell wurde es leise im Camp, da alle völlig erschöpft in ihre Zelte fielen. Doch diese Nacht sollte nicht so entspannt sein wie die letzte. Zum ersten Mal machte ich die Erfahrung, was es hieß, in der Wildnis draußen zu schlafen - als ein etwas größeres Tier einmal um mein Zelt strich, nur die dünne Zeltplane zwischen uns. Obwohl mich das Tier relativ schnell wieder verließ (anscheinend roch ich dann noch nicht interessant genug), war an Schlaf kaum noch zu denken. Doch auch diese kurze Nacht sollte mich nicht hindern, den Morgen in positiver Erwartung zu starten. An diesem Tag sollten wir einen Wanderweg vom vielen Dickicht, das immer wieder hartnäckig auf den Weg wächst, frei machen. Wir fuhren zum „Echo Trail“, der seinem Namen alle Ehre machte. Man wurde durch die Berge gelenkt und nach jeder Ecke wartete eine neue Überraschung. Die größte war wohl „Cochises Head“. Schon lange erzählt man sich die Legende von Cochise, einem Indianerhäuptling, dessen Volk vor langer Zeit in Chiricahua lebte. Eine riesige Steinformation, die sich hoch oben über dem Tal erhob, stellte Cochises Kopf liegend auf dem Berg dar. Als würde er schlafend sein Territorium bewachen und könnte jederzeit aufwachen. Die restliche Woche verging wie im Flug und wurde durch allerlei Eindrücke geprägt. Uns begegneten viele verschiedene Tiere, Rehe, Eidechsen, Klapperschlangen, sehr haarige Raupen, viele Spinnen, Geier, Kolibris, Truthähne, und auch die Bärenfamilie des ersten Tages trafen wir eines Abends auf dem Heimweg ins Camp auf der Straße wieder. Doch auch dieses Mal verschwanden die Drei so schnell es ging wieder ins Unterholz. Wir kletterten durch Höhlen, betrachteten staunend den „Balance Rock“, einen riesigen Stein, der nur auf einem winzig kleinen „Fuß“ schon seit Jahrtausenden zu balancieren schien. Mit jedem Tag wurden wir fitter und legten die Meilen immer schneller hinter uns, jeden Tag 10 bis sogar 20 Kilometer, und das in der prallen Sonne. Wir wuchsen an unseren Herausforderungen, doch irgendwann war auch der letzte Tag gekommen. Unser letzter, nicht arbeitsbezogener Ausflug führte zum „Heart of Rocks Loop“, einem der höchsten gelegenen Wanderwege in Chiricahua, aber auch dem schönsten. Auf einer Hochebene sind wie in einem Garten die merkwürdigsten Felsformationen angeordnet, man konnte in die Formationen die absurdesten Figuren hineininterpretieren. Erschöpft, aber völlig überwältigt traten wir unsere letzte Wanderung an. Zum Abschluss betrachten wir alle gemeinsam den Sonnenuntergang über Chiricahua und ließen die letzte Woche noch einmal Revue passieren. Auch wenn es nicht immer einfach war, man sich manchmal gestritten hatte oder die Motivation zum Weiterarbeiten verlor, prägte uns alle dieses erste Projekt. Wir wussten jetzt, was es hieß in der Wildnis zu wohnen, ohne fließendes Wasser und Strom. Ob wir nun braun geworden waren oder der Dreck der letzten Tage immer noch an unserer Haut klebte, wusste dagegen keiner so genau. In kürzester Zeit war eine Freundschaft mit den Crewmitgliedern entstanden, die mich bis heute, 2 ½ Jahre später, begleitet. Unsere körperliche und geistige Stärke war größer als wir je gedacht hätten, und so waren wir bereit für weitere Projekte und weitere Abenteuer, die uns ganz sicher erwarteten.