Das Sterben der Bienen

Wir sind Soldaten. Täglich im Kampf für das Überleben.

Nicht nur unseres - nein! Wir sind für das Überleben aller Spezies verantwortlich, seien es die aus Fleisch und Blut oder auch die knochenlosen, grünen Bewohner der Erde. Ob Pflanze, ob Tier – sie alle sind abhängig von uns. Abhängig von unserer Arbeit, unserem Leben, unserem Erfolg. Wir mögen klein sein, doch wir tragen die Last der Welt auf unseren Schultern. Jeden Tag wappnen wir uns für das nächste Abenteuer, den nächsten Rundflug, die nächste Chance, unser Volk zu ernähren und am Leben zu erhalten - am Leben zu erhalten, um das Leben zu erhalten.

Doch die Zeit arbeitet gegen uns, arbeitet beinahe so hart, wie wir es tun. Erbarmungs­los tickt sie immer weiter, zählt den Countdown für das Ende der Welt an, den Countdown für das Sterben unseres Volkes - den Countdown für das Ende der Bienen.

Vor vielen Jahren und unzähligen Generationen vor der unseren war das Leben noch in Ordnung. Wir lebten in Freiheit, allein unserer Königin und unserem Volk untergeben. Soweit das Auge reichte, waren die Wiesen satt gefüllt mit prallen, herrlich duftenden Blüten verschiedenster Arten, deren wohlschmeckende Pollen und Nektare uns über viele Winter lang ernähren konnten. Unsere Larven entwickelten sich vorbildlich und befreiten sich als starke und fleißige Bienen aus ihren Brutzellen um die für sie gewählte Bestimmung mit Stolz zu erfüllen.

Es ist nämlich so, dass nicht jede Biene gleich ist und nicht jede Larve zu einer Arbeiterin wird. Unsere Königin zum Beispiel wurde zu ihrer Larvenzeit, statt wie gewöhnlich mit Pollen, Nektar und Honig, ausschließlich mit Bienenmilch aus der Kopfdrüse von uns Arbeiterinnen gefüttert und hat nur 16 Tage zum Schlupf benötigt. Seitdem legt sie täglich bis zu 2000 Eier, jedes in eine eigene Brutzelle unseres Bienenstocks. Wir Arbeiterinnen hingegen haben viele Aufgaben, von der Nestpflege über seine Verteidigung bis hin zur Vorratssammlung, und brauchen für unsere Ent­wicklung 21 Tage, während unsere männlichen Drohnen, die sich nur aus un­be­fruchteten Eiern entwickeln, sogar 24 Tage benötigen um voll entwickelt ihre Brut­zelle zu verlassen. Im Gegensatz zu unserem vielfältigen Aufgabenbereich leben sie nur, um sich eines Tages mit einer Königin zu paaren und darin ihren Tod zu finden. Bis zu diesem Tag lassen sie sich von uns durchfüttern, da sie nicht einmal in der Lage sind, Pollen zu sammeln. Manche von ihnen finden nie eine Königin und glauben, dass wir das bis zu ihrem natürlichen Tode mitmachen, aber da haben sie sich gewaltig in den Fuß gestochen! Wer seine Bestimmung nicht erfüllt, wird des Volkes verwiesen, schließlich benötigen wir unsere wertvollen Wintervorräte dringend für unsere Larven.

Doch genau diese entwickeln sich seit einiger Zeit nicht mehr richtig, obwohl wir sie wie gewohnt pflegen und füttern. Anstelle von stattlichen Bienen schlüpfen vermehrt kleinere Bienchen, die lange nicht so alt werden wie wir. Teilweise schlüpfen sogar deformierte, flugunfähige Bienen oder welche, die von Sinnen zu sein scheinen. Schweren Herzens müssen wir auch sie aus unserem Stock verbannen.

Natürlich haben wir nicht mehr so viel Nahrung wie früher. Die Wiesen sind kleiner geworden, die Blumen weniger und vor allem einseitiger. Überall zerschneiden graue Menschenwege die Landschaft und mit ihren großen Geräten walzen sie alles platt. Die Menschen scheinen uns Insekten nicht sehr zu mögen, weshalb sie eklig riechende Flüssigkeiten über die Pflanzen spritzen, die für viele Insekten nun statt Nahrung den sicheren Tod bedeuten. Wo früher das blühende Leben in all seiner Vielfalt zu finden war, existieren jetzt weniger Arten als je zuvor.

Zudem teilen wir unser Einzugsgebiet mittlerweile mit vielen anderen Bienenvölkern, die die Menschen zu uns gebracht haben. Doch trotz der starken Konkurrenz schaffen wir es durch noch härtere Arbeit und längere Flüge, genügend Nahrung für unsere Larven zu sammeln. Eine Besserung ist aber dennoch nicht in Sicht. Laut einer Vermutung einer der Nachbarvölker liegen die Entwicklungsstörungen an den kleinen Parasiten, die sich seit dem Zuzug eines der neuen Bienenvölker in unserem Stock eingenistet haben. Sie werden Varroa genannt und sind blutsaugende Milben, die sich an unseren Körpern festsaugen. Auch uns ist natürlich aufgefallen, dass sie uns schwächen. Seit sie unter uns – oder eher von uns – leben, arten normalerweise kleine und vorübergehende Infekte zu ausgewachsenen Epidemien aus, die unseren Stock bereits mehrmals beinahe zum Untergang geführt hätten.

Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, nahmen uns die Menschen unsere Freiheit. Statt allein unserer Königin, dienen wir widerwillig nun auch ihnen. Sobald wir unsere Wintervorräte in mühevoller Arbeit über den gesamten Frühling und Sommer gesichert haben, strömt beißender Rauch in unseren Stock, der uns allen Verstand raubt. Alarmiert bereiten wir uns auf das rasche Verlassen unserer Heimat vor, pumpen instinktiv so viele unserer Vorräte in unsere Mägen, wie wir können, um nicht alles im Feuer zu verlieren, welches gar nicht existiert. Menschen. Sie bedienen sich der Macht des Rauches um uns unfähig zu machen. Unfähig, reine Luft zu atmen, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen und vor allem unfähig, unsere wertvolle Nahrung gegen die zweibeinigen Honigdiebe zu verteidigen. Grobschlächtig nehmen sie Teile unseres künstlich geschaffenen Bienenkorbes auseinander, streifen unsere Körper mit ungelenken Bewegungen brutal zur Seite und klauen den von uns so hart erarbeiteten Lebensnektar.

Innerhalb weniger Minuten haben sie einige von uns auf ihrem Gewissen und unsere gesamten Vorräte geplündert. Jedes Mal tauschen sie sie gegen weniger nahrhaftes, billiges Zuckerwasser aus, vielleicht weil sie denken, dass wir ihren Diebstahl so nicht bemerken würden, vielleicht aber auch um nicht noch mehr von uns zu töten. Ich frage mich manchmal, ob es ihnen egal ist, dass wir bei dieser Prozedur Todesängste ausstehen, von denen sich einige von uns nicht mehr erholen.

Doch die Antwort liegt in ihrem Handeln. Wenn die Saison nicht gut genug läuft, kann es nämlich vorkommen, dass wir verschleppt werden. Hunderte Meilen werden wir dann auf großen, fahrenden Menschenmaschinen zu anderen Gebieten gebracht um dort Nektar zu sammeln. Unser Brauch ist es, dass nur die Königin bestimmt, wann und wohin wir ziehen. Egal, wohin sie zieht, wir folgen ihr. Doch nun wandert unser gesamter Bienenstock nach Menschenwillen. All unsere Stammplätze, unsere Lieblingswiesen und geheimen Nektarquellen, die wir uns fröhlich tänzelnd untereinander verraten, all unsere gesammelten Erfahrungen unserer Heimat, all unser Wissen zerschlagen – ausgetauscht durch eine neue Welt, die wir erstmal ergründen müssen. Als wäre der Schock, aus seinem Stammgebiet gerissen zu werden, nicht schon groß genug, werden wir innerhalb weniger Tage schon wieder eingepackt und zu einer neuen Umgebung verladen.

Seit sie uns unterjocht haben, ist kein Tag wie der andere obwohl wir unsere Routine brauchen. Wir sind erschöpft. Der einzige Halt, den wir noch haben, ist unser Volk. Unsere Königin, unsere Drohnen, unsere Kolleginnen und unsere tägliche Arbeit, die uns von all den schlimmen Dingen Ablenkung schenkt.

Doch es wird still in unseren Stöcken. Immer wieder kommt es vor, dass ausgeflogene Arbeiterinnen verschwinden. Nach dem gestrigen Flug durch ein neues Gebiet – eine große Mandelplantage - sind wieder viele nicht zurückgekehrt. Wir sind wenige geworden und können das Arbeitspensum nicht mehr einhalten, nicht genug Pollen und Nektar sammeln, welches wir für die Ernährung unserer Larven so dringend benötigen. Sie sterben – erleiden einer nach der anderen den Hungertod oder kommen krank und schwach aus ihren Brutzellen. Krank und schwach, wie die wenigen Arbeiterinnen, die es gestern zurückgeschafft haben. Diejenigen, die der Bienensprache noch mächtig waren, erzählten aufgelöst von den großen Menschenmaschinen, die nahe der Plantage Saat ausbrachten, und davon, dass es schon viele beim Flug vom Himmel geholt hat. Andere berichteten von Verwirrungszuständen von Arbeiterinnen, die plötzlich ihre Route geändert hatten und nicht wiederkamen. „Ein starkes Nervengift, dass die Menschen in der Luft verteilt haben“, sagt eine Kollegin von mir erbittert. Sie liegt im Sterben.

Unsere Königin hat auch niemand mehr gesehen. Sie wollte bereits zu Zeiten der ersten Varroa-Vorfälle mit uns ausfliegen um ein neues und sicheres Zuhause zu finden, aber die Menschen haben sie ihrer Flugkraft beraubt. Mit gestutzten Flügeln blieb ihr nichts anderes übrig als ihrem Volk beim Sterben zuzusehen.

Das Summen meiner Kollegin verstummt, und auch sonst ist es hier erschreckend leise geworden. Vom fröhlich brummenden Bienenstock mit seinen abertausend fleißigen Bewohnern ist nicht mehr viel übrig geblieben, mein einst so stolzes und geliebtes Zuhause gleicht einer Leichenhalle. All meine Freunde und Kolleginnen, ja sogar die Drohnen, die ich so verachtet habe – alle sind sie tot und ich wünschte, ich könnte daran irgendetwas ändern. Doch auch ich war gestern draußen und spüre, dass mein Lebensabend bald gekommen ist. Mir geht es nicht gut, meine Sinne sind betäubt und das Atmen fällt mir von Minute zu Minute schwerer. Als mir die ewige Schwärze endlich den Schmerz des Lebens nimmt, gilt mein letzter Gedanke den weiten, blühenden Wiesen, die es ohne uns bald nicht mehr geben wird.

Wir waren Soldaten. Täglich im Kampf für das Überleben. Doch den Krieg gewinnen immer die Menschen – auch, wenn dies ihren eigenen Untergang bedeutet.

Dorina Dietrich

 

Quellenangaben:

Dunse, L.: Die Biene – das Leben der Honigbiene, Imkerverein Langenwetzendorf

http://www.imker-langenwetzendorf.de/die-biene/

 

Imhoof, M.: More Than Honey (2012), Dokumentarfilm

http://www.morethanhoney.ch/

 

Prasch, P.; Reichert, I.: Bienen (31.08.2016)

http://www.planet-wissen.de/natur/insekten_und_spinnentiere/bienen/index.html