Unterwegs im Klimamobil

Es ist Dienstagnacht, circa 01:00 Uhr. Genauer weiß ich es nicht, und mir ist es auch nicht so wichtig, als dass es sich lohnen würde das Smartphone aus dem vollgestopften Rucksack zu ziehen. Im Rucksack befinden sich neben Block und Bleistift auch ein üppiges Vesper, bestehend aus Broten, die ich mir vor Verlassen des Hauses noch schnell belegt habe, eine große Flasche Wasser, ein zusätzliches Paar Socken und eine zerknüllte Regenjacke. Ich bin gleich am vereinbarten Treffpunkt und liege für meine Verhältnisse ganz gut in der Zeit, denke ich. Doch Mark und Nico sind schon vor Ort und warten. Zum Glück fehlt noch einer, denn ich habe es nicht gern, wenn andere auf mich warten müssen. Ich werde mit einem freundlichen „Schön, dass es geklappt hat!“ und einem „Guten Abend! Auch schon da?“ begrüßt. Ich gebe weniger heiter, aber betont freundlich „Haja, klar doch! Ich glaube wir haben auch echt eine ganz gute Nacht erwischt!“ zurück. Während wir auf das Eintreffen von Björn warten, bekunden wir uns alle gegenseitig, dass wir mit unserem Halbwissen davon ausgehen, dass es sich tatsächlich um eine sogenannte Strahlungsnacht handelt. 

Da trifft auch Björn ein, wir begrüßen uns freundlich und beratschlagen noch, welches Auto wir für unsere Temperaturmessfahrt nutzen wollen. Wir lassen den Blick über die Auswahl der Fahrzeuge schweifen und sehen vor uns zwei Kleinwagen, jeweils Zweitürer. Ich glaube, in diesem Moment denken wir vier in etwa dasselbe. Mir geht ein „Scheiße, wieso hat keiner von uns ein größeres Auto?“ durch den Kopf. Aber es wird schnell einstimmig entschieden, dass der Mini, trotz trügerischem Namen, mehr Platz und Komfort als der Polo bietet. Nach weiterem kurzen Beraten finden wir einen Weg, das Außenthermometer mit Klebeband am Fahrzeug zu befestigen. Das „Klimamobil“ ist geboren. Ich bin froh, dass keiner, nachdem die restlichen Messgeräte im Kofferraum verstaut sind, darauf besteht auf dem Beifahrersitz zu sitzen. Mit dem freudigen Zuruf „Wir können ja vielleicht später mal tauschen!“ nehme ich auf dem Beifahrersitz Platz, während Mark und Björn bereits jetzt schon so aussehen, als würden ihnen die Beine schmerzen. Los geht’s zur Klimafahrt, die wir für ein Projekt im Rahmen unseres Studiums antreten.

Bei einem Treffen ein paar Tage zuvor hatten wir  den Ablauf weitestgehend geplant. Also fahren wir jetzt in das erste Messgebiet. Unsere Aufgabe ist es mittels Temperaturmessungen im Gelände die Kaltluftgefährdung als Bestandteil einer Standortanalyse durchzuführen. Ich hatte mich eigentlich auf die Arbeit gefreut, doch irgendwie ist es jetzt halt doch schon verdammt spät, um noch etwas für das Studium zu leisten. „Lieber läge ich jetzt schlafend im Bett“, geht mir durch den Kopf, doch diesen Gedanken verdränge ich schnell wieder und motiviere mich für die vor mir liegenden Stunden.

Wir kommen im Gebiet an. Während Mark und ich, mit Handthermometern, Windmessgerät, Stirnlampe auf dem Kopf sowie Schreibzeug ausgestattet abseits der Wege in tiefster Dunkelheit versuchen uns zu orientieren und unsere Messungen auf einem Luftbild verzeichnen, fahren Nico und Björn die vereinbarte Route in Schrittgeschwindigkeit, ebenfalls Messwerte verzeichnend, ab. Später sollen uns die beiden am Hangfuß an vereinbarter Stelle wieder einsammeln. Soweit wir das im Schein der Stirnlampen feststellen können, befinden wir uns am Rande einer Baumreihe, die Bestandteil einer Streuobstwiese ist und uns laut Luftbild die richtige Richtung angibt. Der Hang wird immer steiler und im gleichen Maße sinken die in Bodennähe gemessenen Temperaturen und mit ihnen auch merklich spürbar die Temperatur. Ich hatte nicht erwartet, dass es so kühl werden würde, obgleich ich eigentlich für die Jahreszeit schon ziemlich warm eingepackt bin. Noch wenige Stunden zuvor saß ich in T- Shirt und kurzer Hose auf dem Balkon und habe ohne zu frösteln in den dämmernden Himmel geschaut, bis dieser sich einwandfrei als „klarer Sternenhimmel“ entpuppte, was uns als Indiz für eine Strahlungsnacht dient. Endlich unten angekommen, stellen wir fest, dass wir nicht am gedachten Ziel herausgekommen sind. Doch wir sind nicht weit abseits, wir müssen nur etwa hundert Meter den Feldweg entlang und treffen wieder auf das „Klimamobil“ samt Insassen. Wir haben in diesem ersten der drei Gebiete noch drei weitere Messläufe auf anderen Routen vor uns und ziehen diese im Laufe der nächsten Stunde ohne weitere nennenswerte Ereignisse durch.

Als wir uns um 02:46 Uhr (diesmal weiß ich es genau, da wir, um die gemessenen Werte am nächsten Tag vergleichen zu können, bei jeder Messung die genaue Uhrzeit vermerken) am letzten Sammelpunkt des ersten Gebiets treffen, ist erst einmal eine kleine Pause angesagt. Jetzt kann ich von meinem mitgebrachten Vesper profitieren und verschlinge dieses genüsslich, während wir die nächsten Routen planen. Die Motorhaube des „Klimamobils“ dient uns dabei als Schreibtisch, auf dem wir die Übersichtskarte ausbreiten.

Wir beenden unsere Pause, indem wir uns scherzhaft „Auf zum Klimamobil“ zuurufen - ganz nach Manier alter Superhelden, die sich in ein Abenteuer stürzen. Doch die Motivation ist, wie uns allen merklich anzusehen, etwas vergangen, da wir zum Teil bis zur Hüfte durchnässt von den nassen Wiesen und zum anderen etwas frustriert sind, da sich das ganze Unterfangen bisher als nicht so spaßig und nur wenig abenteuerlich gestaltet. Aber wir machen uns pflichtbewusst auf den Weg ins nächste Gebiet. Dort angekommen, sehen wir, wie uns aus dem hohen Gras abwechselnd Fuchswelpen mit im Scheinwerferlicht leuchtenden Augen neugierig beobachten. Dieser Anblick lässt mich ein ironisches „Ach wie süß!“ ausstoßen. Und während wir wieder an die Arbeit machen, geht mir durch den Kopf: „Auch wenn die heutige Nacht nur einen sehr kleinen Teil zu meinem Studium im Naturschutz beiträgt, so weiß ich doch, wieso ich hier bin. Genau wegen jenen Momenten, in denen man am eigenen Leib, auch wenn dieser gerade unangenehm durchnässt und kalt ist, spürt, wie wichtig einem doch die Natur und ihr Fortbestehen ist.“ So kann ich, nachdem wir unsere letzten Messungen um kurz vor 6 Uhr beendet haben, mit einem guten Gefühl den Tag (oder besser gesagt die Nacht) abschließen.

 

Benjamin Greiß