Wochenvater im Paradies

Schrill trällerte der Wecker, aus dem Schlaf gerissen spürte ich mein Herz pumpen. Es war kalt um mich herum und die Müdigkeit verstärkte dies. Ein Sonnenstrahl aber, der durch das kleine Fenster des alten Wohnwagens hereinschien, strahlte auf meine Beine, sodass ein warmes Kribbeln durch meinen Körper fuhr. Ich setzte mich auf die Bettkante und zog mir meine Shorts vom Vortag an, schlüpfte in das über dem Stuhl hängende T-Shirt und schlappte zwei Schritte zur Tür. Draußen umgab mich die Sonne, ein wohlriechender Duft von leicht vergorenen Nashi-Birnen lag in der Luft und eine Brise salziger Meeresluft strömte mir nach einem tiefen Atemzug in die Lungen. Direkt vom Baum, der neben dem kleinen blauen Wohnwagen wuchs und der umgeben von ein paar Bananenpalmen und verschiedenem Wildwuchs war, pflückte ich eine Birne, biss hinein und spürte den kalten Saft an meinem Kinn herablaufen. Ein Traum war wahr geworden. Die Sonne war bereits jetzt am frühen Morgen sehr kraftvoll und ich spürte, wie sie meinem Körper Kraft gab. Die Kiesel des geschlungenen Weges hin zum Haus waren für die morgens noch so empfindlichen Füße zu spitz, deshalb ging ich daneben durch das taunasse Gras. Es war wie ein morgendlicher Kneipgang, doch so erfüllend. Mit den warmen Sonnenstrahlen auf dem Rücken spürte ich die Energie unbändig durch meinen Körper fließen. In einem Satz sprang ich die drei Stufen zur angelehnten Küchentüre, öffnete diese mit einem Hüftstoß, und vergrub meine nasskalten Füße in dem dort ausgelegten Schaffell. Mit wedelndem Schwanz und noch ganz verschlafen kam Mila, die alte Hundedame des Hauses, auf mich zu, forderte ihre morgendlichen Streicheleinheiten und folgte mir dann durchs Haus bis zum Kinderzimmer. Leise fing ich an ein deutsches „Guten-Morgen-Lied“ zu singen und öffnete die Türe. Mila zwängte sich direkt an mir vorbei, tapste durch das Zimmer und fing an die im Stockbett unten liegende Sara durchs Gesicht zu schlecken. Rob saß schon im Bett und versuchte das von mir angestimmte Lied ohne jegliche Deutschkenntnisse mitzusingen. Wir zwei im Duett mussten uns wohl schauderhaft angehören. Rebecca, die Mutter der beiden, war für sieben Tage auf Geschäftsreise und so war es meine Aufgabe auf das idyllische Haus, das wild eingewachsen direkt am Meer lag, zu hüten. Ich sollte den elf Jahre alten Rob und die achtjährige Sara in die Schule bringen, später abholen und dann beschäftigen. Der erste Tag war fast endlos lange und sehr anstrengend gewesen. Doch jetzt, nach drei Tagen, war ich voll in meiner neuen Rolle als Wochenvater angekommen.

Aus dem Bett gesprungen, klammerten die Zwei sich links und rechts an meine Beine. Wie einbetoniert schleppte ich uns in die Küche, allen voraus Mila. Die Sonne, die durch die große Glasfront des Wohnzimmers schien, schuf schon morgens eine wohlige Wärme im Haus. Rob schnappte sich den schweren Sack Hundefutter und ging mit Mila, die wild mit ihrem Schwanz herum wedelte, nach draußen. Schön war es zu beobachten, wie Rob noch immer versuchte der alten Hundedame neue Tricks beizubringen. Sara half mir fleißig dabei das Frühstück zu richten. Schnell waren die Brötchen verputzt und es ging weiter ins Bad. Währenddessen strich ich gedankenversunken den Zweien die Vesperbrote. Eine herrliche Ruhe herrschte hier. Nur ein paar Vögel zwitscherten im Garten und in der Ferne waren Lachmöven zu hören, die sich zu dem leisen Gekicher der Kids im Bad mischten. Nach kurzer Zeit wurde ich aus meinem Tagtraum gerissen, denn die Zwei kamen in die Küche gerannt. Es war so schön die Kinder zu beobachten, wie sie schon morgens vor Energie strotzten. Schnell war das Vesper eingepackt, die Fahrräder aus der Garage geholt, Helme aufgesetzt und schon waren wir unterwegs. Es war eine enorme Verantwortung, die mir aufgetragen worden war, doch es fühlte sich wirklich gut an. Stolz radelte ich voraus, von den Zweien dicht verfolgt musste es wohl wie eine Entenmutter und ihre Küken ausgesehen haben. Schnell wurde es hier morgens warm und es tat gut die salzig schmeckende Luft tief einzuatmen. Mit jedem Atemzug wurden die Atemwege weiter und wir flitzten auf einem schmalen unpräparierten Weg durch die kaum von Menschen beeinflusste Landschaft. Es war Februar, einer der heißesten Monate auf der neuseeländischen Südinsel bei Moteuka, und die Sonne stand bei der Ankunft an der Schule um neun Uhr schon ziemlich hoch. Die Kids gingen gerne in die Schule, auch die meisten Freunde kannten sie von dort und so sprangen sie nach einer Umarmung direkt auf den Schulhof, auf dem sich schon eine ganze Schar Kinder tummelte. Für den Rückweg nahm ich - außerhalb der Sichtweite der Kinder - meinen Helm ab. Der Fahrtwind strich mir angenehm über die Stirn, auf der meine nassen Haare klebten. Vom Fahrtwind trockengeföhnt, kam ich nach rund 20 Minuten am Wohnwagen an, ließ mein Fahrrad dort stehen und schlenderte durch das Gartentor zum Meer. Erst jetzt ohne Wind schoss mir der Schweiß aus jeder Pore und so war es einzigartig belebend in das angenehm kühle Meerwasser einzutauchen.

Schrill trällerte der Wecker, ein Déjà-vu. Jedoch stand mir dieses Mal der Schweiß auf der Stirn und mir wurde nach dem schnellen Aufstehen aus dem Liegestuhl schwindelig. Die Sonne hatte auch meiner Haut zugesetzt, denn ich spürte beim Aufschwingen auf das Fahrrad, wie sie spannte. Es war 15.30 Uhr, Zeit um die Kleinen von der Schule abzuholen. Angenehm wurde mein wohl hochroter Kopf durch den Fahrtwind abgekühlt und ich spürte, wie sich meine Sinne wieder schärften. An der Schule angekommen, sprangen mir die Zwei schon entgegen und ein wildes Wettfahren nach Hause begann. Es war so herrlich im Beisein der Kinder so richtig abschalten zu können und wieder selbst ein Stück weit Kind zu sein. Die Energie der Kinder übertrug sich regelrecht auf mich, und als wir zu Hause angelangt waren, schnappten wir uns das alte Kanu und trugen es zusammen ans Meer. Es war Ebbe geworden, und so mussten wir etwa 100 Meter weiterlaufen und aufpassen, dass die im Sand vergrabenen Muscheln nicht die Füße aufschnitten. Nach diesem Storchengang setzten wir das Boot ins Wasser und ich schob es mit den zwei Passagieren, bis das Wasser tief genug war, und sprang auf. Es war windstill und somit auch kaum Wellengang, was es uns einfacher machte bis auf die nächst gelegene Sandinsel zu paddeln. Wir zogen das Kanu an Land und banden es an einem kleinen Strauch fest, falls die Flut schneller kommen sollte als erwartet. Die Insel war kaum bewachsen, nur selten ein paar Sträucher und brusthohes Schilfgras, das sich hier ausgebreitet hatte. Wir strichen über die Dünenlandschaft und suchten alte Möwennester, in denen sich ab und an noch ein wohl unbefruchtetes Ei befand. Die Eier sahen zwar sehr schön aus, doch als eines zufällig zerbrach, fiel uns auf, wie höllisch sie stanken. Wir spielten Verstecken zwischen den Sträuchern und hatten viel Spaß. Nachdem die Zwei sich ausgetobt hatten, gingen wir zum Boot zurück. Es war schon langsam Flut geworden und das Wasser reichte bereits bis an das Kanu. Die Kleinen waren leise geworden. Sara hatte ihren Kopf an mich gelehnt und war eingeschlafen, und auch Rob fielen immer wieder die Augen zu. Eine leichte Brise stellte sich ein, das Kanu schaukelte sanft hin und her und die kleinen Wellen klopften sanft gegen das Boot. Die Sonne stand jetzt flach am Horizont über dem Meer und ließ dieses magisch schillern.

Zu Hause angekommen, legten wir uns auf das im Garten stehende Trampolin und genossen, dass die Hitze des Tages langsam verschwand. Die kühler werdende Luft war angenehm auf der heißen, von der Sonne strapazierten Haut. Voller Neugierde löcherten die Zwei mich mit Fragen über Deutschland, meine Familie, Hobbies und allem, was ihnen durch den Kopf ging. Es war schön von allem zu erzählen, und dabei fiel mir auf, wie ich doch alles vermisste. Heute kam um sieben die Oma der beiden vorbei und brachte die beiden auch ins Bett. Es dämmerte und eine einzigartige Ruhe um das Haus stellte sich ein. Auch ich konnte jetzt ganz abschalten. Noch lange, bis in die Nacht hinein, saß ich mit meinem Buch vor dem kleinen Wohnwagen und genoss das Alleinsein und die Stille der Nacht.