Kunstpädagoge
Hochschulstudiengänge Künstlerische Therapien HKT der HfWU
Berührungen und Unterscheidungen: Zwischen Kunstpädagogik und Kunsttherapie
Beginnt sich die Kunsttherapie pädagogischen Handlungsfeldern zu öffnen, erscheint es wichtig, die Handlungsweisen von Kunstpädagogik und Kunsttherapie zu konkretisieren, um sich Berührungspunkten, aber auch Unterscheidungsmöglichkeiten zu nähern. In beiden Berufsfeldern gibt es die Arbeit am und mit dem Bild, das sich zwischen dem begleiteten und dem begleitenden Menschen befindet. In beiden Bereichen werden Transformationsprozesse (vgl. Koller 2012) über die Arbeit am Bildangestrebt. Blicken Menschen auf ihre künstlerische Praxis zurück, kann man staunen, wie das Einlassen auf eigene Bilder zu einem tiefgreifenden, inneren Formungsprozess führt (vgl. Loemke 2019, 258 ff.) und wie Implizites oder handlungsleitende Orientierungen (Bohnsack 2011, 17) den künstlerischen Prozess beeinflussen (vgl. Loemke 2019, 309 ff., 321 ff.). Im Bild tritt einem entgegen, welche Erfahrungen man gemacht hat, von was man sich lösen will, was man anstrebt oder schlicht, worauf man (noch) keine Antwort gefunden hat. Die Arbeit am Bild bildet. Die reibende Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild, aber auch den Bildern der anderen ermöglicht Bildungsprozesse.
Kunsttherapeutisches Handelnunterscheidet sich vom kunstpädagogischen in Rahmung und Auftrag. Wenden sich Kunsttherapeut*innen zumeist im Einzelsetting oder in Kleingruppen unterstützungsbedürftigen Menschen in Krisensituationen zu, sind Kunstpädagog*innen mit deutlich größeren Gruppen konfrontiert. Die ihnen anvertrauten Menschen werden als so stabil angesehen, dass sie aufnahmefähig sind für Neues. Auf diese Weise erbrachte Leistungen erfahren Wertschätzung, werden aber auch gewertet, um gleichwertig gegenüber anderen Leistungen anerkannt werden zu können. Ergebnisse kunsttherapeutischen Handelns erhalten ebenfalls Wertschätzung, ohne je gewertet zu werden. Im stillen, abwartenden und geschützten Beziehungsrahmen des kunsttherapeutischen Settings können individuelle und sehr persönliche Themen bearbeitet werden. Der Auftrag der Kunstpädagogik ist anders. Kunstpädagog*innen unterstützen die zu begleitenden Menschen in ihrer Öffnung auf Welt, muten ihnen Fremdes und Unbekanntes zu.
Manchen Schüler*innen wird das Zumuten mit dem Unbekannten in den verschiedenen Fächern zu viel, weil es den eigentlichen Themen im Weg zu stehen scheint. Sie können dann den Bezug zum Lernen verlieren und sehen keinen Sinn mehr in all den Aufgaben, denen sie sich stellen müssen. Helga Kämpf-Jansen entwickelte deswegen ein kunstpädagogisches Konzept, über das sie Kinder und Jugendliche, aber auch Studierendemit ihren Fragen und Anliegen in Kontakt zu bringen versucht (vgl. Kämpf-Jansen 2012, 274), um von dort ein individuelles Lernfeld zu eröffnen. Dieses Konzept, das sie »Ästhetische Forschung. Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft« nennt, wurde seither von vielen Kunstpädagog*innen weiterentwickelt. Es ist ein forschendes Vorgehen, das auf den menschlichen Modi der Wahrnehmung im alltäglichen Leben basiert und junge Menschen dazu ermutigt, sich von dort zu anderen Forscher*innen in Kunst und Wissenschaft in Beziehung zu setzen. Die Wege, die dabei gegangen werden, werden zu Erfahrungen, die bedeutsame Bildungsprozesse auslösen können. Sie fordert »Sinnhaftes gegen unsinnig Verordnetes« (Kämpf-Jansen 2012, 274) und konstatiert: »Alles kann Gegenstand oder Anlass ästhetischer Forschung sein« (ebd.). Öffnen sich Menschen in pädagogischen Kontexten ihren Sinnen und Fragen (vgl. ebd.), müssen ihre ästhetischen Forschungsprozesse persönlich werden. Dieses Vorgehen kann gerade im Hochschulkontext intensiv werden. »Im Ausloten eigener Zugänge und Positionierungen werden«, so Helga Kämpf-Jansen, »persönliche Grenzen erweitert bis hin zu tiefgreifenden Grenzerfahrungen, die immer dann gegeben sind, wenn einzelne sich z.B. einer besonderen ästhetischen Erfahrung, den ›Selbstversuchen‹ u.ä. aussetzen« (ebd., 276 f.).
Sich auf das einzulassen, was man als sinnvoll erachtet und einen Bezug zur persönlichen Lebenswelt aufweist, konfrontiert einen mit sich selbst. Widerständiges kann dann genauso hervortreten wie Orientierungslosigkeit, Unsicherheit oder Schweres. Im Zuwenden auf das Sinnhafte gibt es kein Entweichen. Verantwortung für sich und das zu übernehmen, was einen um- und antreibt, wird notwendig. Diese Qualität eines offenen Denk- und Handlungsraums zu halten, ist für Kunstpädagog*innen keine einfache Aufgabe. Sie benötigen eine konzentrierte Haltung. Zugleich müssen sie zurücktreten, damit die anderen stark und eigeninitiativ werden können. In diesen Phasen kommt es zu Bildungsprozessen, die therapeutischen Prozessen nicht unähnlich sind. So lässt sich gut nachvollziehen, dass in der Öffnung der Kunsttherapie auf pädagogische Handlungsfelder das Konzept der Ästhetischen Forschung Helga Kämpf-Jansens auf breite Resonanz gestoßen ist.
Ein Wissen um die eigenen Grenzen ist für Kunstpädagog*innen in solchen offenen Lehrformaten wichtig, weil diese Prozesse junge Menschen berühren können, immerhin lassen sie sich auf Sinnhaftes und nicht unsinnig Verordnetes ein (vgl. Kämpf-Jansen 2012, 274). Nun haben Schulen einen Bildungs- und Erziehungsauftrag und Kunstpädagog*innen können aufgrund der Gruppengröße und der schulischen Zeitstruktur den ihnen anvertrauten Menschen nicht so viel Aufmerksamkeit zukommen lassen, wie das manchmal notwendig wäre. Benötigen Kinder oder Jugendliche mehr Aufmerksamkeit, kann eine zusätzlich angebotene, kunsttherapeutisch-orientierte Einzelförderung hilfreich wirken (vgl. Beiträge von Anita Gremmelspacher und Stefanie Hole).
Im Gegensatz zu Kunsttherapeut*innen erreichen Kunstpädagog*innen über ihre Profession alle Kinder und Jugendliche in den verschiedenen Schularten. Das Fach Kunst ermöglicht den Schüler*innen, sich behutsam ein Bild vom Wahrgenommenen bzw. Erfahrenen zu machen, es in Worte zu fassen und mit anderen zu teilen. Dabei kann die Kunstpädagogik wie die Kunsttherapie die Identitäts- sowie Persönlichkeitsbildung der Schüler*innen fördern und ressourcenorientiert arbeiten. Kurze Einzelgespräche zwischen Kunstlehrer*innen und Schüler*innen sind immer möglich. Diese Qualitäten des Fachs verantwortungsvoll und selbstbewusst anzunehmen, stellt eine große Chance für gelingendes pädagogisches Handeln an Schulen dar.
Zwischen kunstpädagogischen und kunsttherapeutischen Handlungsfeldern gibt es noch eine weitere Differenz, die für das Forschungsfeld »Kunsttherapie und Schule« relevant erscheint: Im Studium der Kunsttherapie wird zwischen Kunstpraxis und Selbsterfahrungunterschieden. In kunstpädagogischen Bildungsprozessen an Schulen und Universitäten gibt es diese Trennung nicht. Dass die Kunsttherapie hier unterscheidet, ist aus kunstpädagogischer Perspektive irritierend, weil gelingende künstlerische Bildungsprozesse in der Kontaktaufnahme mit dem Noch-Nicht-Bekannten und dem darauffolgenden distanzierenden, gestalterischen Antworten immer auch Selbsterfahrungsprozesse sind. Zugleich ermöglicht diese Unterscheidung in der Kunsttherapie die Fokussierung auf einen Kompetenzerwerb im Formal-Ästhetischen sowie Konzeptuellen und eine differenzierte Reflexion der eigenen Erfahrung. Damit kann sich ein Spannungsfeld lösen, das im kunstpädagogischen Handeln dann auftreten kann, wenn die fördernde Unterstützung des Einzelnen in Konflikt zu künstlerischen Qualitätsvorstellungen gerät (vgl. Loemke 2019, 231).
Überlegenswert wäre aus kunstpädagogischer Perspektive, die Möglichkeiten des eigenen Fachs weiter zu denken und über die Expertise von Kunsttherapeut*innen zu bereichern, aber auch querzudenken. So könnte ein vertieftes Wissen um psychodynamische Prozesse, die in Bildgestaltungen anschaulich werden oder in ästhetischen Forschungsprozessen auftreten, Kunstpädagog*innen darin unterstützen, bessere Antworten auf drängende Probleme der ihnen anvertrauten jungen Menschen zu finden. Wie angehende Kunsttherapeut*innen müssten Kunstpädagog*innen in differenzierten Selbstreflexionen geschult werden, um Übertragungsmechanismen überhaupt wahrnehmen zu können und schwierige Gruppendynamiken in Klassenverbänden neu verstehen zu lernen. Genauso notwendig erscheint es mir, von Pädagog*innen als herausfordernd erlebte Bildungsprozesse der Schüler*innen in (kunst-)therapeutisch-orientierten Supervisionen zu reflektieren.
Die Berührungen zwischen kunstpädagogischem und kunsttherapeutischem Handeln sind vielfältig. Um die Bildung der Schüler*innen optimal unterstützen zu können, braucht es Impulse von innen, also aus der Institution Schule heraus, und unterstützende Ergänzungen von außen, wie sie beispielsweise durch kunsttherapeutisch-orientiertes Handeln möglich wären.
Literatur
Bohnsack, Ralf (2011). Qualitative Bild- und Videointerpretation. Die dokumentarische Methode. 2. Durchgesehene und aktualisierte Auflage. UTB Budrich: Opladen, Stuttgart.
Kämpf-Jansen, Helga (2012): Ästhetische Forschung. Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft. Zu einem innovativen Konzept ästhetischer Bildung (3. Auflage). Tectum: Baden-Baden.
Koller, Hans-Christoph (2012): Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Kohlhammer: Stuttgart
Loemke, Tobias (2019): Innehalten beim Begleiten künstlerischer Prozesse. Handlungsleitende Orientierungen im Ausbreiten von Artefakten und Erzählen von Ereignissen. FAU University Press: Erlangen.