Debütantenpreis für herausragende künstlerische Leistungen im Bachelorstudiengang Kunsttherapie 2020

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Gravity keeps us standing

 

Zum Video von Antonia Böckle

 

Zwischen den Stühlen zu sitzen bedeutet gemeinhin, sich weder zu der einen noch zu der anderen Seite hingezogen zu fühlen und in dieser Blockade gefangen zu sein. Das Äqivalent im Englischen lautet denn auch: „be caught between two stools“. Wer zwischen den Stühlen sitzt, sitzt im Nirgendwo hin und fühlt sich auch so. Diese prekäre, uns allen bekannte Situation zum Gegenstand einer künstlerischen Arbeit zu machen, erfordert allerdings höchste Wachsamkeit gegen die Gefahren einer allzu schnellen Versinnbildlichung. Weshalb es klug war, das  „Zwischen-den-Stühlen-Sitzen“ erst einmal wörtlich zu nehmen und auf seine primäre Körperbotschaft hin zu befragen. - Das Video zeigt, wie sich ein junger Mann in die Lücke zwischen zwei an der Wand stehenden Stühlen zu „setzen“ versucht und schließlich daran scheitert . Zunächst stützt er sich mit dem Rücken an der Wand ab und formt aus seinem Körper etwas Stuhlartiges. Der bis auf eine weiße Unterhose nackte Körper ist an Bauch und Armen weiß angemalt, so dass er sich im Sitzen genau den hellen Stühlen anpasst. Schon nach relativ kurzer Zeit fangen die Beine an zu zittern und der Körper sinkt stufenweise nach unten. Dort verharrt  er noch einige Zeit, steht auf und verlässt das Bild. Und das alles beginnt immer wieder von vorne, da das Video als Dauerschleife organisiert ist. Die Reduktion auf Schwarzweiß verleiht den Bildern eine an frühe Avantgardefilme erinnernde Aura und das quadratische Bildformat schafft einen harmonischen Ausgleich zwischen der quer verlaufenden Stuhlreihe und dem in der Senkrechten agierenden menschlichen Körper. Es wäre leicht gewesen, das Bildgeschehen mit einer schnellen moralischen Botschaft zu unterfüttern. Dies nicht getan und stattdessen den Fokus auf den rein performativen Aspekt der Sache gelegt zu haben, gehört zu den Stärken dieser Arbeit. Denn nur so lässt sich der tiefere Witz dieses Bildgeschehens verstehen. Der Versuch, in einer derart künstlichen Pose gegen die Schwerkraft anzuarbeiten, hat ja, wie alles Scheitern, sowohl etwas Heroisches wie etwas Lächerliches. Beides gleichzeitig artikulieren zu können, ist eine Kunst für sich. Das Video lässt uns erfahren, was es heißt, ganz unten anzukommen und allem Pathos zum Trotz so langsam in den Chill-Modus überzugehen. Als sei der Raum zwischen den Stühlen heute ja der natürlichste Ort der Welt, wenn es darum geht, sich selber zu finden.

Die Arbeit ist schnörkellos klar. Bild, Ton und Handlung sind präzise aufeinander abgestimmt. Und es ist letztlich diese Stimmigkeit, die uns dazu veranlasst, diesen Bildern auf den Grund zu gehen, ohne damit ihren Genuss zu schmälern.

 

Harry Walter

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