Keine Verkehrswende ohne Kulturwende

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- Konferenz skizziert Wege zur Überwindung von nicht-nachhaltigen Mobilitätskulturen -

GEISLINGEN (hfwu). Auf dem Weg zur einer zukunftsfähigen Mobilität geht es darum, nicht-nachhaltige Mobilitätskulturen zu überwinden. Mit diesem Leitgedanken fand jetzt eine von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) mitorganisierte Fachkonferenz statt.

Bei der Diskussion um die Verkehrswende stehen meist die bestehende Infrastruktur und der Individualverkehr im Fokus. Mobilität ist zudem maßgeblich geprägt von wirtschaftlichen, sozialen, politischen und immer mehr auch von digitalen Voraussetzungen. Wie Mobilität vor diesem Hintergrund neu und vor allem nachhaltig gedacht und realisiert werden kann, damit befasst sich die mobil.LAB Doctoral Research Group. Die in dieser Form einzigartige interdisziplinäre und internationale Gruppe junger Forscherinnen und Forscher ist Teil eines gemeinsamen Programms der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) und der Technischen Universität München (TUM). Gefördert wird das Programm von der Hans-Böclkler-Stiftung. Im Rahmen einer öffentlichen Web-Konferenz stellten die Doktoranden jetzt ihre Forschungsergebnisse vor.

„Mc Donald’s hat einen ersten Drive-in für Fahrräder eröffnet – das ist mehr als nur eine Marketing-Aktion, sondern ein Symbol dafür, dass ein grundlegendes Umdenken stattfindet“, ist Prof. Dr.-Ing. Gebhard Wulfhorst von der Technischen Universität München (TUM) überzeugt. Er betreut neben Prof. Dr. Sven Kesselring von der HfWU die Doktoranden. Das Fahrrad-Drive-in-Beispiel zeigt zudem, wie eng Mobilität mit gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen verwoben ist. Hier sind es die modernen, individualisierten Essgewohnheiten.

„Mobilität im Sinne von etwas, das für sich alleine steht, gibt es nicht“, verdeutlicht dem entsprechend Sven Kesselring. Mobilität sei immer verbunden mit politischen, ökonomischen und sozialen Prozessen und hat so weitgehende Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche der Menschen. Der „Überwindung von nicht-nachhaltigen Mobilitätskulturen“, so der Titel der Konferenz, hat sich die Forschungsgruppe nun seit zehn Jahren verschrieben. Die Doktoranden, die jetzt ihre Forschungsarbeiten präsentierten, sind die zweite Generation der mobil.LAB Research Group.

 „Es gib Hoffnung“, sagt Kesselring im Rückblick auf eine Dekade Forschung und Diskussion. Die Transformation sei bereits im Gange: weg von einem historisch gewachsenen, global vernetzten und verbreiteten System der Automobilität hin zu einem System multipler, untereinander vernetzter Mobilitäten, dem Internet der Dinge und automatisierten Formen der Mobilität. In diesem Sinne befänden wir uns mitten in der Entstehung einer neuen Gesellschaft, die von Datenaustausch und Steuerungsprozessen in Echtzeit geprägt sein werde.

Dass allerdings keineswegs nur die technologische Seite bedacht werden muss, macht der Ansatz der Forschungsgruppe deutlich und dies betonte auch Dr. Henrike Rau. „Mit der Verkehrswende muss vor allem auch ein kultureller Wandel verbunden sein“, so die Professorin von der Ludwig-Maximilians-Universität München, „und deshalb ist es notwendig, Mobilitätskulturen besser zu verstehen.“ Bei der Konkurrenz zwischen Auto- und Fahrradfahrer beispielsweise gehe es um mehr als um die Frage, ob Fahrradwege gebaut und Straßen zurückgebaut werden. Hier gehe es auch um einen Kulturkampf, darum für welche Lebensstile, Werte und Alltagspraktiken das jeweilige Fortbewegungsmittel stehe. Die Politik habe zudem oft nur diejenigen im Blick, die bereits Fahrrad fahren. Die Frage sei, wie man die Fahrradfernen erreichen könne, die Familien in denen noch nie viel Fahrrad gefahren wurde und die Fahrradfahren grundsätzlich nicht als attraktive Alternative sehen. In mehr als 20 Prozent der Haushalte in Deutschland gäbe es gar kein Fahrrad, so die Wissenschaftlerin, und 50 Prozent der Bevölkerung benutzten nur sehr selten oder nie eins.

Die von den Doktoranden vorgestellten Forschungsarbeiten untersuchen wie die Menschen Mobilität praktizieren, stellen Konzepte neuer automobiler Mobilität auf den Prüfstand, analysieren mögliche Planungsinstrumente im Feld der nachhaltigen Mobilität und fragen mit Blick auf geteilte Fortbewegungsmittel und automatisiertes Fahren „Wer fährt wen? Wer wird gefahren?“. Ende dieses Jahres wird die zweite Generation der mobil.LAB Doctoral Research Group ihren Arbeiten abgeschlossen haben. Im kommenden Jahr beginnt mit einer eine neuen Mannschaft junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die nächste Forschungsetappe in Sachen nachhaltige Mobilitätskulturen.

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