Bio oder konventionell, die Logistik muss stimmen

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Foto (üke/HfWU): Wie sich die Lieferketten im Lebensmittelhandel optimieren lassen, darüber diskutierten (v.l.n.r) Eberhardt Weber, Tommy Bacherle, Prof. Dr. Dirk Funck, Jens Gebauer und Prof. Dr. Monika Reintjes.

- In allen Bereichen des Lebensmittelhandels geht es um Effizienz -

NÜRTINGEN (hfwu). Es liegen Welten zwischen großen Lebensmitteldiscountern und Biomärkten. Bei den Produkten, im Anspruch und bei den Lieferanten. Eines haben sie gemeinsam: Effizienz auf allen Ebenen entscheidet darüber, ob das jeweilige Geschäftsmodell erfolgreich ist. Beim Branchentag Lebensmittel der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) und dem baden-württembergischen Handelsverband saßen Vertreter aller Bereiche des Lebensmittelhandels an einem Tisch: Vom Großdiscounter bis zum Biovermarkter.

Auf den ersten Blick konnten die Unterschiede nicht größer sein: Auf der einen Seite Wolf Tiedemann von der Handelskette Lidl mit über 9900 Filialen in ganz Europa und daneben Stephan Schopf, der in seiner b2 Biomarkt GmbH sieben Läden betreibt. Doch Lebensmittelhandel ist mehr. Professor Dr. Dirk Funk, der die Veranstaltung mitorgansiert hatte, hatte Gäste geladen, die fast das ganze Spektrum der Branche abdecken. Irgendwo zwischen Großdiscounter und Bioläden tummelt sich Jens Gebauer mit seinen Edeka Aktivmärkten, der als neue Handelsidee unbemannte Stationen betreibt, aus denen sich seine Kunden rund um die Uhr versorgen können. Auf den Einkauf zuhause setzt Eberhardt Weber mit seinem Lieferladen.de Bringdienst, der die Kunden mit frischer hochpreisiger Bioware versorgt.

All diese Lebensmittelhändler eint, dass das jeweilige Geschäftsmodell nur mit höchster Effizienz und einer ausgefeilten Logistik funktioniert. „Wertschöpfungskette zwischen Effizienz und Nachhaltigkeit“, brachte der Untertitel des Branchentages die Herausforderung an den Lebensmittelhandel auf den Punkt. Nachhaltigkeit haben sich alle Branchenvertreter auf die Fahnen geschrieben. Ein Großkonzern wie Lidl investiert große Summen in Energieeffizienz, CO-2 Senkung und eine Logistik, in der nichts mehr dem Zufall überlassen wird. So spart Lidl, indem der Rollendurchmesser bei Toilettenpapier reduziert wurde, rund 250 vollbeladene LKW im Jahr ein. Für Wolf Tiedemann ist klar „Nachhaltigkeit und Lidl schließen sich nicht aus“.

Nachhaltigkeit steht für die b2-biomärkte an erster Stelle, erst dann kommt die Effizienz. Von klassischen Läden, über Firmenessen, Lieferservice, Internetservice, Catering  und Gastronomie spielt Schopf die gesamte Klaviatur aus, um seine „regionalen Werte“ zu transportieren. Um gleichzeitig effizient zu sein, setzen seine Betriebe auf Blockheizkraftwerke, Solarenergie und aquaponische Gewächshäuser. Der Ansatz „Miteinander von Natur und Mensch“ legt Stefan Schopf aber enge Grenzen auf. 50 Kilometer Umkreis um seine Märkte werden bedient, dann hört für ihn die Regionalität auf, „der Aufwand für Lebensmitteltransporte hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt“.

Stephan Schaller, der für die Agentur GS1 Barcodes und Nummernsysteme entwickelt, sieht in der Lieferkette noch Spielräume, die sich ausreizen lassen. Mehr Nachhaltigkeit in der Lieferkette ist für ihn machbar, dazu müssten allerdings Industrie und Handel an einen Tisch, gemeinsame Messsysteme und weltweite Standards können helfen. Dies gilt vor allem in einem Szenario, „in dem Massenkonsum Massendistribution“ verlangt, so HfWU Professor Funck. Auch Michael Tribus von der Managementberatung Porsche Consulting sieht die Lieferketten von der Rohware bis in die Verkaufsregale als entscheidend. Wenn es, wie in einem Beispiel von Tribus, gelingt, dass zwischen dem Fang eines Fisches und dem Sushi Frühstück gerade mal elf Stunden liegen, sieht Tribus nur Gewinner: Kurze Lagerzeiten sparen Geld, sorgen für frische Ware und zufriedene Kunden.

Kann das Internet die Lösung sein, zu weniger Lieferverkehr und mehr Kunden für den Einzelhandel? Für den Edeka-Mann Gebauer ist klar, „wer jetzt nicht aufspringt ist weg“. Die Logistikprofessorin Dr. Monika Reintjes sieht derzeit Grenzen für das online Geschäft in Verbindung mit Lieferdiensten: „Abholung läuft, liefern  nicht“. Reintjes warnt vor hohen Kosten und sieht allenfalls Nischen für die Lebensmittelbranche. Tommy Bacherle von der Drogeriekette dm sieht den online-Handel als einen weiteren Kanal, um online Kunden zu finden, die man dann in die eigenen Läden lockt. Für Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbandes Deutschland, steht zunehmend der Händler als Marke und nicht so sehr das Produkt im Vordergrund. Händler würden immer mehr zu Herstellern, mit eigenen Marken und eigenen Anbaubetrieben. Allen Diskutanten ist gemeinsam, dass gleichgültig, ob Einzelhandel oder Discounterketten, alle gleichermaßen auf Vertrauen, Regionalität und Heimatverbundenheit setzen.

Ob und wie das Internet das Einkaufserlebnis auf den Kopf stellen wird, bleibt offen. Zumindest für Jürgen Baur, Inhaber von Frischemärkten, gilt: „Riechen, spüren, schmecken sind Links, die kein Onlinemarkplatz bieten kann“. Alle Redner des Branchentages versuchten, sich als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren. Das gelang nur teilweise: Die Diskussion mit studentischen Besuchern zeigte, dass der Handel noch immer unter den Lebensmittelskandalen der letzten Jahre leidet. Bei der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers punktet bei den Studierenden derjenige, der gute Arbeitsbedingungen bietet. Dies spielt eine größere Rolle als Gehalt, Dienstwagen oder Größe des Unternehmens. Entsprechend viel Lob und Interesse gab es bei den Studierenden für den b2 Biomarkt.

Der Branchentag Lebensmittel ist als „Tag der Betriebswirtschaft“ Teil einer Veranstaltungsreihe, die die HfWU mit dem HfWU-Hochschulbund durchführt und die von der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen unterstützt wird. Mitveranstalter war der Handelsverband Baden-Württemberg e.V..

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