Zukunft Grauzone

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Prof. Dr. Jürgen Kegelmann referierte zum Thema „Glocal Governance“.

Vortrag im Studium-generale befasste sich mit der Grenze als produktivem Ort

NÜRTINGEN (hfwu). In einer krisenhaften Welt gewinnen Grenzen an Bedeutung, lokal wie global. Warum es sich zudem lohnt, sich ganz allgemein mit ihnen zu befassen und es eines neuen Grenzverständnisses bedarf, darum ging es bei einem Vortrag im Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen.

„Grenzen sind wieder ein Thema, nach innen wie nach außen“, sagt Dr. Jürgen Kegelmann. In seinem Vortrag an der HfWU schlug der Professor für Organisation, Personal und Management von der Hochschule Kehl einen denkbar weiten Bogen. Er reichte von grundlegenden Gedanken zum Wesen der Grenze bis hin zu konkreten grenzverbindenden und überschreitenden lokalen und globalen Organisationen und Projekten. Professor Johannes Junker, Studiendekan des Studiengangs Theatertherapie an der HfWU und Ethikbeauftragter der Hochschule hatte in den Studium-generale-Abend eingeführt. Das Programm steht im Sommersemester unter dem Titel „Ideen und Lösungsansätze für Frieden und Zusammenhalt.“

Die vielleicht grundlegendsten Grenzlinien des Menschen zeigen sich in der Gegenüberstellung seiner Grundbedürfnisse. Diesen Gedanken entwickelte Kegelmann am bekannten Bedürfnismodell des Psychoanalytikers Fritz Riemann. Den Einzelnen zeichnen danach die Bedürfnisse sowohl nach Nähe und nach Distanz also auch nach Stabilität und Wandel aus. Für Kegelmann, Experte für Organisationsentwicklung, zeigen sich diese Grundbedürfnisse auch in kollektiver Form. „Das Ordnungsamt in einer Kommune hat eine überaus wichtige Funktion. Auf dieser organisatorischen Ebene steht es für die Wahrung des Bedürfnisses Stabilität“, ist Kegelmann überzeugt. Bei den Aufgaben des Sozialamts gehe es um Solidarität, Teilhabe, Gemeinschaft und Gerechtigkeit – im Grunde also um die Bedürfnisse Nähe und Verbindung. Darüber hinaus haben „alle großen Themen unserer Zeit einen lokalen und einen globalen Bezug“, betont Kegelmann. Nicht nur die Themen Gerechtigkeit, Klimaschutz und Flüchtlinge. „Governance“, die Steuerung dieser Themen, könnte nur gelingen, wenn beide Dimensionen adressiert werden.

Allerdings denken wir „zu sehr im Binären, in richtig oder falsch, entweder oder, gewinnen oder verlieren“, so Kegelmann. Die Grenze sei vielmehr aber, „immer ein sowohl als auch, etwas oder auch etwas ganz Anderes, Neues.“ Man müsse wissen, was formal gilt und informell geht, so der Verwaltungswissenschaftler, „die Kunst der Steuerung ist auch die Grauzonen zu kennen“. In diesem Sinn versteht Kegelmann die Grenze als kreativen und produktiven Ort. Das sagt er als weitgereister und spirituell interessierter Privatmann, aber vor allem aber auch als Forscher und Organisationsentwickler, dem Anregungen aus anderen Wissenschaftsdisziplinen immer wichtig waren. Der beherzte Vorstoß in die Grauzone setzt eines voraus: „Wir brauchen ein neues Grenzverständnis“, ist sich Kegelmann sicher. „Wir sind mit allen anderen verbunden. Wir sind Zwischenwesen, die gegenseitig Verantwortung tragen.“