Wenn SARS über den beruflichen Weg entscheidet

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Ihm geht es gut: Rüdiger Wiltzhaus geht davon aus, dass er sein Praxissemester bei Siemens in Singapur wie geplant zu Ende bringen kann.

Ihm geht es gut: Rüdiger Wiltzhaus geht davon aus, dass er sein Praxissemester bei Siemens in Singapur wie geplant zu Ende bringen kann.

- Studierende der Fachhochschule sind in Südostasien mit SARS konfrontiert –
NÜRTINGEN (üke/ab) Claudia Hofmann sitzt an ihrem Computer im Büro ihres Praktikumsbetriebes. Ohne große Vorankündigung platzt die Putzfrau in das Zimmer und sprüht eine Ladung Chlor in Richtung ihres Kopfes: „Die Hölle für jede Lunge und für die Schleimhäute“. Diese Hölle bestimmte bis letzte Woche den Tagesablauf der jungen Studentin. Claudia Hofman verbrachte als BWL-Studentin an der Fachhochschule Nürtingen ein Praxissemester bei Volkswagen in Shanghai. Seit Donnerstag ist sie wieder in Deutschland. Der Aufenthalt war wegen der SARS-Epidemie in China zu gefährlich geworden.

Dabei versucht das deutsche Joint Venture mit Vitamin C Pillen, Desinfektionsmittel und Mundschutz seine Mitarbeiter vor der Krankheit zu schützen. Auch die Stadtregierung will mit drastischen Maßnahmen die Krankheit eindämmen oder wenigstens begrenzen. Lange hatte Claudia Hofmann die Abreise hinausgezögert und die Schutzprozeduren über sich ergehen lassen: Morgens und Abends Fieber messen, genaue Notizen darüber, wo sie sich den Tag über aufgehalten hat, welches Taxi, welche U-Bahn wurde benutzt. Alles Maßnahmen, die die Situation für die Nürtinger Studentin unangenehm machten. Wäre in einem Gebiet, in dem sich Claudia Hofmann aufhielt ein SARS Fall aufgetreten, hätte dies unweigerlich einen Quarantäneaufenthalt bedeutet. Das gilt auch, wenn man die Stadt verlassen will.
Solange wollte Alexandra Herl nicht warten. Die Absolventin der Fachhochschule arbeitet und lebt seit einigen Jahren in Hong Kong und kennt inzwischen die Verhältnisse vor Ort durch ihren Job an der deutschen Auslandshandelskammer. Als ab Mitte März die Medienberichte immer widersprüchlicher wurden, packte die Mutter zweier Kinder die Koffer und machte sich mit ihren eineinhalb-jährigen Sprösslingen auf den Weg nach Deutschland. „Uns war vor Ort klar, dass die Verantwortlichen in Südchina etwas verbergen würden“. Anders in der ehemaligen Kronkolonie. Das Krisenmanagement in Hong Kong funktioniert bis heute gut. Täglich werden auf einer aktuellen Internet-Seite die neuesten Zahlen vermeldet, werden Tipps gegeben und wird versucht, eine möglichst hohe Transparenz herzustellen. Diese Offenheit sollte zwar Vertrauen erzeugen, konnte aber nicht verhindern, dass beim Höhepunkt der Seuche bis zu 70 Neuerkrankungen pro Tag vermeldet werden mussten.
Auch in Singapur hatten sich die Stadtoberen zu einem offensiven Umgang mit der Krankheit entschieden. Rüdiger Wiltzhaus, Student im 6. Semester des Studiengangs Energie- und Recyclingmanagement am Fachhochschul-Standort Geislingen, verbringt dort ein Praxissemester bei Siemens. Natürlich habe sich das Straßenbild seit Ausbruch der Krankheit verändert: „Am Flughafen und Containerhafen sind Wärmebildkameras installiert und in Ämtern wird man auf SARS-Symptome überprüft.“ Er zollt aber der Regierung ein großes Kompliment, die sich gleich nach Auftauchen der ersten Fälle intensiv mit der Problematik auseinandergesetzt habe. Er ist zuversichtlich, dass er sein im März begonnenes Praktikum bei der Firma Siemens in Singapur bis zum Schluss durchführen kann. Erschüttert ist er weniger über die Situation vor Ort, sondern über die Berichterstattung der deutschen Medien, die er über das Internet verfolgen kann: „Obwohl Singapur einige tausend Kilometer von China und Hongkong entfernt ist, wird ganz Südostasien über einen Kamm geschert.“
Beim Blick auf die Maßnahmen gleicht sich jedoch das Bild. So steht Claudia Hoffmann als Ausländerin in Shanghai unter besonderer Beobachtung. Es wird geraten Mundschutz zu tragen und überall in der Stadt befinden sich Kontrollstellen, um die Maßnahmen der Regierung zu überwachen. Auch beim Betreten des Firmengeländes muss sich Claudia Hofmann regelmäßig die Temperatur messen lassen. Die meisten Praktikanten von Volkswagen Shanghai haben inzwischen das Land verlassen. Auch Claudia Hofmann brach ihr Praktikum nach zwei Monaten ab.
An diese Situation in der chinesischen Wirtschaftsmetropole muss sich Frank Bornmann erst noch gewöhnen. SARS hin SARS her, der Absolvent der Landschaftsarchitektur und frisch gebackene Dipl.-Ing. (FH) ist am 13. Mai neu in Shanghai angekommen, um dort nach dem Studium bei einem australischen Architekturbüro seine erste Stelle anzutreten. Er musste im Flugzeug und bei der Ankunft die Temperatur messen lassen, er erlebt die Stadt selbst jedoch als relativ ruhig. In den Hotels sind Messstände aufgebaut und vor allem öffentliche Angestellte und Taxi- und Busfahrer tragen Gesichtsmasken. Allerdings, auch er wurde mit der Regelung konfrontiert, dass Chinesen derzeit die Stadt nicht verlassen können. Trotzdem, es gibt keine Zeichen von Chaos oder Panik. Die Regierung tut alles, um eine Situation wie in Peking zu vermieden. Shanghai will ein Zeichen setzen und deutlich machen, dass die Situation beherrscht wird.
Nicht anders in Hong Kong: Alexandra Herl war und ist sich bewusst, dass die Zahl der gemeldeten SARS-Fälle bei einer Einwohnerzahl von sieben Millionen im Verhältnis sehr gering sind. Trotzdem, niemand konnte garantieren, dass die Hospitäler genügend Plätze für die Versorgung der vielen Patienten zur Verfügung haben würden. „Es stellte sich einfach das Gefühl ein, dass man nicht mehr angemessen versorgt werden könnte, obwohl die medizinische Versorgung in Hong Kong zu den besten der Welt gehört.“ Nachdem manche Fluglinien die ersten Verbindungen einstellten, entschloss sich Alexandra Herl „zur Flucht vor SARS“. Die Zahl täglichen Neuerkrankungen hat sich zwar inzwischen deutlich reduziert. An eine Rückkehr denkt Alexandra Herl aber zunächst nicht. „Jetzt genieße ich mit den Kindern erst einmal den Frühling in Deutschland und warte ab.“