„Werdet rebellischer“

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(hfwu/tzamalouka): Wenn er spricht, herrscht Ruhe im Saal: Gregor Gysi plaudert aus dem politischen Nähkästchen.

Um keine Antwort verlegen: Der ehemalige Fraktionschef derLinken im Bundestag während der Diskussionsrunde.

Gregor Gysi beim Tag der Finanzen

NÜRTINGEN (hfwu). Seit 13 Jahren gibt es an der HfWU den „Tag der Finanzen“. Studiendekan Professor Dr. Dr. Dietmar Ernst versammelt dabei regelmäßig Studierende, Vertreter aus der Finanz-, Börsen- und Bankenwelt und auch die Öffentlichkeit ist willkommen. Eines ist Ernst dabei wichtig: „Wir wollen nicht nur linientreue Branchenexperten sondern auch Querdenker auf dem Podium“. Mit Gregor Gysi, dem diesjährigen Gastredner ist ihm dies gelungen.

Dieser Blick aus unterschiedlichen Richtungen entspricht dem Anspruch der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt die auch in der Ökonomie für die nachhaltige Entwicklung steht. Pluralismus gehört dazu der, so formulierte es HfWU-Rektor Professor Dr. Andreas Frey in seiner Begrüßung, „ein Geschenk in einer demokratischen Gesellschaft ist“.

Auch dem Anspruch, die Öffentlichkeit an die Hochschule zu locken, ist Ernst mit dem 13. Tag der Finanzen voll und ganz gerecht geworden: Vom Eingang der Nürtinger Stadthalle K3N, quer durch den Park vor der Kreuzkirche und einmal um diese herum reichte der Bandwurm der Wartenden vor der Einlasskontrolle. Als der Gast dann schließlich eintraf hieß es: Full House!

Was folgte war erst auf den zweiten Blick ein inhaltlicher Beitrag zum „Tag der Finanzen“. Stattdessen nahm der ehemalige Linken Fraktionschef das Saalpublikum auf eine „Tour d´horizon“ durch die Welt der Politik, der Diplomatie und schließlich auch der Finanzen. Gysi, der sich selbst als Optimisten sieht und der Idee folgt, dass sich die Zivilisation ständig nach vorne bewege, konstatiert trotzdem, dass die Welt aus den Fugen geraten sei. Schuld daran ist, so Gysi, die Weltgemeinschaft selbst, in Form der UN- Organisation. Dort habe man verkannt, dass auch nach dem Ende des kalten Krieges die Welt einen Plan der Ausgestaltung benötige. Der Westen habe nichts dafür getan, das Völkerrecht der neuen Realität anzupassen. Im Ergebnis zeigten sich nun Krisen, von Syrien bis hin zur Ukraine, in denen es um nichts anderes gehe, als um den Kampf um Einflusssphären. Diese waren wären der Ost-West Rivalitäten klar definiert, danach entstand ein Vakuum.

Gysi schlug ganz entsprechend dem Titel seines Vortrages den großen Bogen von Deutschland, über Europa und in die Welt – in beiden Richtungen. Als linker Politiker knöpfte er sich die Gerechtigkeitsfrage vor, um sich gleich entsprechend einzuordnen: „Links ist man erst, wenn man an der Seite aller Schwachen steht – nicht nur der in Deutschland. Linke müssen aber auch an der Seite der Mitte der Gesellschaft stehen“. Nationalen Egoismen erteilte er eine deutliche Absage, willkommener Adressat dieser Kritik war, wer sonst, der amerikanische Präsident. In den Appell „Mauern helfen nie, sie verschaffen höchstens eine Pause“, bezog Gysi dann wiederum die europäische Politik mit ein. Es gelte Fluchtursachen zu bekämpfen, da auch hier ein Abblocken wenig helfe.

Soziale Probleme zu lösen sei das Gebot der Stunde. Die Globalisierung habe dazu geführt, dass „wir hier gut leben, weil die arme Hälfte der Menschheit nicht wusste wie wir leben“. Spätestens seit der Erfindung der Smartphones sei dies anders. „Nun wissen sie es und das löst Begehrlichkeiten aus“. Gleichzeitig gehe es mit der armen Hälfte weiter abwärts und das sei nicht zu ertragen. An die Studierenden gewandt forderte Gysi, die Jungen müssten die Fragen stellen, warum die moderne Landwirtschaft die Menschheit zwei Mal ernähren könnte und trotzdem Hunger eine Realität sei.

Auch mit der deutschen Politik ging der Linken-Politiker hart ins Gericht. Mangelnde Investitionsbereitschaft warf er der Regierung vor. „Wer 100 Euro leiht, muss zur Zeit nur 98 Euro zurückzahlen“, so Gysi, dem unklar ist, weshalb in dieser Situation ein Investitionsrückstau von 136 Milliarden Euro aufgelaufen sei. Er erklärte dies mit einem „sexuell erotischem Verhältnis der großen Koalition zur schwarzen Null“. Auch hier hoffte er auf die Studierenden: „Werdet rebellisch, eure Aufgabe ist es, der Politik auf die Nerven zu gehen“.

Gerhard Schmücker
Nürtingen, 29.03.2017

 

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