Was war zuerst? Kunst oder Religion?

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Foto (HfWU/üke): Lebhaft gib es zu, als Professor Roswitha Bader (links), die Kanzlerin der HKT, die Diskussion nach dem Vortrag von Professor Dr. Thomas Junker (Mitte) eröffnete. Die Studentin Ramona Mahlmeister (rechts) moderierte die Veranstaltung.

- Evolutionsbiologe Thomas Junker zu Gast an der HKT -

NÜRTINGEN (hfwu). Kunst – Religion – Politik ist der Titel einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe der Hochschulen für Kunsttherapie, Wirtschaft und Umwelt und der Nürtinger Hochschulgemeinde. Der Tübinger Evolutionsbiologe Professor Dr. Thomas Junker setzte in seinem Vortag Kunst und Religion in Beziehung zur Natur des Menschen. Anders gesagt: Sind diese beiden Größen für die Menschwerdung entscheidend oder geht´s auch ohne?

Junker tauchte tief in prähistorische Zeiten ein. Er zitierte die Entwicklung der Kunst als parallel zur Entwicklung des aufrechten Ganges. Eine Aussage, die Junker relativierte. Hinweise auf Kunst, kann er zu den Zeiten der Neanderthaler nicht feststellen, denen dagegen der aufrechte Gang nicht fremd war. Die ältesten geschnitzten Tierfiguren aus der schwäbischen Vogelherd Höhle datieren aus späterer Zeit. „Kunst kam mit dem Homo Sapiens“. Und Religiosität? Zwar gab es zu den Zeiten unserer steinzeitlichen Vorfahren rituelle Bestattungen, die aber kein Zeichen für Glauben seien. „Aus der Altsteinzeit gibt es keine Beweise für den Glauben an übernatürliche Götter“, so Junker.

Erste Anzeichen für die Entwicklung von Kunst, Wissenschaft und Religion sieht Junker nach der neolythischen Revolution vor rund 10 000 Jahren. Bei der Rolle, die Kunst und Religion für die menschliche Entwicklung spielen setzt Junker die beiden Größen als nicht gleichwertig, wohl aber als vergleichbar an. Es geht ihm nicht um die Frage, was war zuerst, das Ei oder das Huhn, sondern um die Bedeutung von Kunst und Religion für menschliche Gemeinschaften. Dabei spielen Biologie und Umweltfaktoren eine Rolle. Philosophen des 18. Jahrhunderts verwendeten bereits den Begriff des Menschen als religiösem Tier. Religiosität ist in dieser Sicht ein Instinkt wie Essen, Trinken oder Sexualität. Edmund Burke geht weiter, indem er Atheismus als gegen Verstand und Instinkt bezeichnet. Liegt Religion in unseren Genen? Junker zitiert Studien, die zeigen, dass gläubige Menschen mehr Kinder zeugen und religiöse Gemeinschaften stabiler sind. Ein globales Phänomen, aus dem hervorgeht, dass Religion scheinbar einen Selektionsvorteil bietet und damit einen echten Nutzen.

Junker grenzt Kunst und Religion voneinander ab, für ihn ist Kunst kein Zeichen für Religiosität. Er definiert Kunst als zweite Sprache, die geheime Wünsche Sehnsüchte und Phantasien zum Ausdruck bringt. Gleichgültig ob durch Malerei, Musik oder Filme. „Kunst ist ein sozialer Kitt, der Gruppen zusammenhält“. Kunst hilft laut Junker dabei, Gemeinschaften zusammenzuhalten, was schwierig ist, obwohl der Mensch allein nicht leben kann. Die sozialen Regeln dafür stellt die Religion zur Verfügung: „Religion verleiht Geboten und Vorschriften unbedingte Geltung, sie ist die jüngere Schwester der Kunst“. Religion ist genetisch angelegt, braucht aber die entsprechenden Umweltfaktoren zur Entfaltung. Daher schlägt für Junker die Geburtsstunde der Religion rund 2000 Jahre vor Christi Geburt, als sich die ersten staatenähnlichen Gemeinschaften bildeten. Sie bildeten die hierarchischen Strukturen, in denen Religion für Gemeinschaft sorgt. Kunst schafft dies auch, allerdings eher in egalitären Gruppen, daher gibt es sie auch länger.

In der Konsequenz  ist der Mensch für Junker kein religiöses Tier. „Umweltfaktoren müssen auf Gene treffen, dann erst entsteht Religion. Eine Sicht, die das Publikum am Dienstagabend nicht ganz teilte. Jedenfalls kam es zu einer lebhaften Diskussion darüber, ob sich die Bedeutung der Kunst auf egalitäre und die der Religion auf hierarchische Strukturen einschränken lässt.

Nürtingen, den 22.04.2015
Gerhard Schmücker