Was Kunst wert ist

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- Veranstaltung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) – gemeinsam mit Kunstverein Nürtingen -

NÜRTINGEN. (hfwu) Die Kunstwelt steht Kopf: Auf rund eine Milliarde Euro werden die Bilder geschätzt, die vor rund einer Woche in München auftauchten. Irrsinnige Zahlen kursieren, bevor überhaupt Kenner der Szene die einzelnen Exponate zu sehen bekommen. Der Zeitpunkt für den Beginn der neuen Veranstaltungsreihe „Kunst und Wert“ von Kunstverein und Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) hätte nicht besser gewählt sein können.

Als einen weiteren Beitrag der Hochschule zum gesellschaftlichen Leben der Stadt, wie in seiner Antrittsrede angekündigt, bezeichnete HfWU-Rektor Professor Dr. Andreas Frey die neue Reihe. Besonders freue ihn, dass die Reihe gemeinsam mit der Stadt, dem Kunstverein und als Partner mit der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen, gestartet werden konnte. Da Michael Gompf als erster Gastredner auch Dozent an der Hochschule für Kunsttherapie sei, sehe er auch die zweite Nürtinger Hochschule mit im Boot. Auch Oberbürgermeister Otmar Heirich sieht die neue Veranstaltungsreihe als einen weiteren Schritt, den die Hochschule auf die Stadt zu mache. Beide Nürtinger Hochschulen seien ein Gewinn für die Stadt.

Michael Gompf, der Leiter des Nürtinger Kunstvereins, zeigte als erster Referent der neuen Reihe welchen Einflüssen die Preise besonders zeitgenössischer Kunst ausgesetzt seien. Der Wert von Kunst bemesse sich zum einen am Markt- zum anderen am Kunstwert. Das eine ist der Preis, dass andere der ideelle Wert den Kunstgegenstände besitzen. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, als das Interesse an zeitgenössischer Kunst stieg, öffnete sich der Markt der Spekulation. Spekulation gehört seither zum Kunstmarkt. Schon die Schwägerin von Vincent van Gogh versuchte als Kunsthändlerin das Angebot an Bildern ihres Schwagers strategisch knapp zu halten, um so den Wert dessen Werke zu steigern.

Auch die berühmte Mäzenatin und Sammlerin Peggy Guggenheim löste allein durch ihre Sammlungen eine wahre Kunstproduktion aus. Und der jüngste Fund in München zeige deutlich, dass auch die Nazis den Wert von Kunst zu schätzen wussten: Entartet oder nicht – dies hinderte das Regime nicht daran, die beschlagnahmten und geraubten Werke zu hohen Preisen verkaufen zu lassen. Der Münchener Fall zeige, dass einige der beauftragten Händler die Werke selbst kauften. „Man darf gespannt sein, wie viele solcher Sammlungen noch auftauchen werden“

Neben Händlern sieht Gompf die Kunstkritiker für lange Zeit als die maßgeblichen Instanzen für die Preisentwicklung auf dem Kunstmarkt. Sie seien neutral und vom Markt abgekoppelt. Trotzdem sei klar „gäbe es sie nicht, könnte der Finanzmarkt nicht in Kunst investieren“. Es seien die Kritiker, die dafür sorgten, dass alles was in Museen und Kunstvereinen gezeigt wird, Kriterien genüge, die nicht dem Markt gehorchten.

Weit kritischer sieht Gompf die wachsende Bedeutung der Kuratoren, die häufig selbst Künstler sind. „Sie stellen Ausstellungen zusammen und statten Schauen provokant aus, was dann wiederum den Preis treibt“. Auch die Künstler selbst haben ihren Anteil an der Preisentwicklung. Mit Provokationen und Exzessen gepaart mit gekonntem Selbstmarketing sorgen sie für Präsenz und Wahrnehmung. Dies seien Geschäftsmodelle, die direkt die Preisentwicklung beeinflussen. Überteuerte Kunst entstehe dadurch, dass Käufer häufig bereit seien diese Preise zu bezahlen, nur um sich von ihren Konkurrenten abzusetzen. Diese Preise sagen nichts über den ideellen Wert von Kunst aus. Im Gegenteil: Fallen die Preise würden die Werke häufig bedeutungslos. 

Derzeit bestimmten Sammler, was Kunst wert ist. Sie selbst organisierten Ausstellungen, teilweise auch, um einzelne Künstler zu „pushen“. Das größte Museum in China werde von Privatsammlern betrieben. Eine Schwester des Herrschers von Quatar verfüge über das größte Budget, um Kunstwerke aufzukaufen. Kunst, die in eigens gebauten Museen ausgestellt werde und die völlig außerhalb der Kultur des eigenen Landes angesiedelt sei. „Es verkehrt sich etwas“, konstatiert Gompf. Es lasse sich kaum noch zwischen dem musealen und dem Tauschwert von Kunstwerken in Ausstellungen unterscheiden. Die Ebene, die den ideellen Wert von Kunst bestimme, sei bedroht.

Gerhard Schmücker, 08.11.2013