Studieren während Corona

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- HfWU stellt sich den Folgen der Pandemie -

NÜRTINGEN (hfwu). Mit den sinkenden Inzidenzzahlen der Corona-Pandemie geraten immer mehr die Folgen des nun seit eineinhalb Jahren andauernden Ausnahmezustandes in den Blick. Es zeigt sich, dass nun vor allem die „Jungen“ mit den Auswirkungen zu kämpfen haben: Kinder, Schüler, Studierende. Auch an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU).

Während des StudiGipfels des Landes, zu dem Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Wissenschaftsminister Theresia Bauer letzte Woche geladen hatten, sprach der Ministerpräsident von einem großen „Akt der Solidarität, dass Studierende durchgehalten und Rücksicht auf die Älteren und Schwachen genommen haben“. Die Wissenschaftsministerin dankte den Hochschulen, dass es gelungen sei, den Studienbetrieb während der Pandemie aufrechtzuerhalten und sprach gleichzeitig die Schwierigkeiten an: „Viele Studierende leiden extrem unter der Situation, einem Studienalltag und Leben, das sich seit über einem Jahr ohne Kontakte zu Kommilitonen und sozialem Leben auf wenigen Quadratmetern abspielt“.

Viele Einschränkungen beeinflussen auch an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt den Studienalltag. Im März letzten Jahres kam binnen weniger Tage der Lehrbetrieb zu einem totalen Stillstand. Seither wird in über dreißig Studiengängen online gelehrt. Auch wenn dies inzwischen in allen Studiengängen Alltag ist, fühlten sich zunächst viele Studierende mit den online Formaten überfordert. Hinzu kommt: Nicht alle Lehrinhalte lassen sich problemlos online vermitteln. Die wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge sind sogenannte Buchwissenschaften und lassen sich recht einfach auch digital lehren. Dies sieht im Agrarbereich, in den therapeutischen, gestalterischen und planerischen Studiengängen der HfWU anders aus. „Kartierungen, die Arbeit im Freien, Pflanzenbestimmungen, künstlerisches Arbeiten all dies sind Lehrinhalte, die den Studierenden fehlen“, stellt der Dekan der Fakultät Umwelt Gestaltung Therapie, Professor Dr. Roman Lenz fest. Lenz bezieht sich auf Lehrinhalte, die ansonsten in Tachenhausen, in den Lehrgärten, auf Bühnen, in Ateliers oder Laboren vermittelt worden sind. „Wir haben Studiengänge, die vollständig von der Kommunikation und Interaktion leben“, so Lenz.

Dazu gehört der Studiengang Theatertherapie. Der Student Tobias Constien beschreibt, wie die künstlerische Ausbildung in diesem Studiengang besonders durch das Miteinander und das gemeinsame Arbeiten geprägt ist: „Das fand eigentlich nicht statt im letzten Jahr“. Überhaupt stand er vor dem Problem, dass sich theatertherapeutische Methoden, die eigentlich für eine Gruppe ausgelegt sind, kaum ins Digitale übertragen lassen. Was blieb war der theoretische Austausch, ohne eigene praktische Erfahrungen zu sammeln. Auch Lea Schiebe, die im 6. Semester Landschaftsplanung und Naturschutz studiert, spürt das Studium während der Pandemie. Ihr Studienfach lebe vom Draußensein und einige Inhalte könnten auch nur so vermittelt werden. „Leider wurden wir Studierende und gerade Studiengänge wie dieser lange übersehen“. Sie kritisiert, dass sie nicht einmal in kleinen Gruppen ins Freie konnten, während andernorts dutzende Mitarbeiter:innen zusammen in Großraumbüros arbeiteten. „Dadurch, dass man nun von früh bis spät alleine vor dem Computer sitzt, wird man physisch sowie auf Dauer auch psychisch müde. Müde vom sonst so spannenden Studium.“

Im laufenden Semester hatte die Bundesnotbremse und das entsprechende Bundeinfektionsschutzgesetz dem Studienplan an der HfWU in vielen Studiengängen einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Der Wechselunterricht an Hochschulen unterscheidet sich von dem an Schulen“, so HfWU-Prorektor für Lehre, Professor Dr. Dirk Stendel. Erst die Auslegung der Wissenschaftsministerinnen und Wissenschaftsminister der Länder, die klarstellende Regelung des Landes zu Abschlussklassen und die sinkenden Inzidenzen haben dazu geführt, dass Lehre in den Reallaboren, also außerhalb der Hörsäle in begrenztem Umfang wieder möglich war. „Wenn es anders gekommen wäre, wären uns die planerischen Studiengänge weggekippt", so Dekan Lenz. Trotzdem mussten Exkursionen und andere Lehrformen teilweise ausfallen und es bleibt unklar, wie diese Inhalte nachgeholt werden können.

Ein ganz anderes Thema ist jedoch, welche sozialen Folgen diese Situation für die Studierenden hat. Vor allem die Studienanfänger sind betroffen. Der Aufbruch nach der Schule in einen neuen einmaligen Lebensabschnitt, der Schritt weg von den Eltern und aus dem gewohnten zuhause hin zu neuen Freunden in einer neuen Umgebung: Für viele ist dies das gelebte Gefühl von Freiheit pur. Zum ersten Mal Verantwortung zu übernehmen für alles was man tut, erlebt und auch nicht tut. Stattdessen verbringen inzwischen drei Studienanfängersemester das Studium hauptsächlich zuhause bei den Eltern vor den Bildschirmen. Ihre Hochschule und ihre neuen Kommilitonen haben sie wenn, dann nur kurz, besucht oder getroffen. Studien- und Lernberater:innen, Mentor:innen und die Mitarbeiter:innen in den Studiengängen aber auch die Studierenden untereinander versuchen, die Folgen abzumildern: Mit online Tutorien, Kontaktforen und anderen Kommunikationsformen.

HfWU-Rektor Professor Dr. Andreas Frey betont, dass es mit einer großen Kraftanstrengung aller Hochschulangehörigen gelungen ist, den Studienbetrieb erfolgreich aufrecht zu erhalten und für ein vollwertiges Studium zu sorgen. „Die Corona-Vorgaben sind streng und ändern sich seit über einem Jahr auch ständig. Darauf flexibel zu reagieren ist schwierig und dafür danke ich allen an der Hochschule“. Der Arbeitsaufwand und die Belastung seien in allen Bereichen der Hochschule enorm. Laut Rektor Frey habe die Hochschule die Ressourcen und Möglichkeiten erhalten, mit der Ausstattung und entsprechenden Maßnahmen auf die Pandemie zu reagieren. „Hier waren wir in einer besseren Lage, als viele Schulen im Land“, so Frey. Was bleibt ist die Hoffnung, dass ab Herbst wieder mehr Lehre in Präsenz möglich sein wird, um die Folgen der Pandemie möglichst gering zu halten.