Reizempfindlich Richtung Industrie 4.0. - "Tag der BWL 2016" in Nürtingen

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IWM-Chef Alexander Romppel

Unternehmensberater Alexander Kluge

KUKA-Marketingleiter Wilfried Eberhardt

- „Tag der BWL – Organisationsdesign 4.0“ Tagung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen; Referenten sehen Weiterentwicklung des Mitarbeiters als Herausforderung -

NÜRTINGEN (hfwu). Die Industrie 4.0 ist in aller Munde. Meist geht es dabei um technologische Aspekte. Eine Tagung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen fragte, welche neuen Organisationsformen nötig sind und wie sich der Mensch ändern muss, um in solchen Umbruchzeiten Schritt zu halten.  

Keine Krawatten. Darauf hatten sich die Referenten noch kurz vor dem Start der Tagung geeinigt. Eine kleine Geste, die den Kern der Tagung traf. Was gestern für eine BWL-Veranstaltung noch unumstößliche Regel war, muss heute und schon gar nicht mehr morgen gelten. Im Zeitalter von Industrie 4.0 lässt sich Zukunft nicht mehr als lineare Fortschreibung der Gegenwart verstehen. Darin waren sich alle Referenten beim „Tag der BWL 2016“ in der Nürtinger Stadthalle einig.

Bei der Tagung unter dem Titel „Organisationsdesign 4.0. – fit für die vernetzte Arbeitswelt von Morgen“ sollte es in erster Linie, wie überhaupt in der Wirtschaft, um den Menschen gehen. Daran erinnerte HfWU-Dekan Prof. Dr. Joachim Reinert. Elf Milliarden Euro werden jährlich in Deutschland in neue technologische Entwicklungen investiert. Nur rund eine Milliarde, um die Menschen im Umfeld dieser neuen Technologien zu begleiten. Hier gebe es also noch Bedarf. Zuvor hatte HfWU-Rektor Prof. Dr. Andreas Frey betont, dass Industrie 4.0. auch eine Herausforderung für die Hochschulen bedeute. Diese stehen vor der Aufgabe, die Studierenden auf die neue Arbeitswelt vorzubereiten. Ein HfWU-Angebot unter vielen sei hierbei der neue Masterstudiengang Organisationsdesign.

Prof. Dr. Thomas Ginter, Leiter des Studiengangs, sowie Organisator und Moderator der Tagung, stellte die Referenten vor, darunter Alexander Romppel. Dieser drückte die Unsicherheit der Zukunft mit den Worten des Künstlers Joseph Beuys aus: „Wir müssen etwas ins Blickfeld nehmen, bevor es da ist“. Wenn wir Zukunft verstehen wollten, müssen wir still werden und lauschen, andere, präzisere und neue Fragen stellen, so der Geschäftsführer des Instituts für Institut für wertezentriertes Management (IWM). Wir müssen Dinge tun, die nur ein Mensch kann. Und mit ihm stehe und falle letztendlich auch der Erfolg von Technologiesprüngen wie Industrie 4.0. Die zentrale Frage sei daher, wie wir unsere Einstellungen und Gewohnheiten ändern. Zum einen, damit die neuen Technologien überhaupt Einzug in unser Leben halten können. Zum anderen, um sie dann wirksam und gewinnbringend in den Alltag zu integrieren. Ein Schlagwort für den Unternehmensberater auf dem Weg dorthin ist Reizempfindlichkeit. Die Wirtschaftswelt der Zukunft sei von rapiden Auf-, Ab- und Umbrüchen gekennzeichnet. Hier könnten nur Unternehmen bestehen, die nach innen wie nach außen eine Kultur des Zuhörens entwickeln, reizempfindlich seinen für Irritationen. Dem Unternehmen von morgen empfiehlt Romppel neben der Sensibilität agil zu sein und offen für neue Lösungen, nicht Hauruck-Lösungen zu suchen, sondern sich schrittweise an Ziele anzunähern. Dies alles in einem an klaren Werten orientierten Rahmen, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Die elaborierte Analyse des Unternehmensberaters ergänzte Wilfried Eberhardt, Marketing-Chef des Roboterherstellers Kuka, mit handfesten Zahlen. Allein die Firma Google habe ein größeres Budget für Forschung und Entwicklung als der gesamte deutsche Maschinenbau. Im Zuge der Industrie 4.0 gebe es bald 50 Milliarden vernetzte Geräte auf unserem Planeten. Auf dem Weg zur Verschmelzung von digitaler und realer Welt werde die deutsche Industrie in den nächsten Jahren 40 Milliarden Euro investieren. Lösungen, die Kuka dafür anbieten wird, sieht Eberhardt unter anderem in sensitiver Robotik, also Maschinen, die im direkten Umgang mit den Mitarbeitern lernen oder in mobilen Robotern, die die Menschen begleiten. In der (Kuka-)Fabrik der Zukunft werden Daten aus einer solchen intelligenten Produktion in intelligenten Online-Plattformen zusammengeführt, analysiert, neue Daten generiert und diese wieder in den Produktionsprozess eingespeist.

Dieser Welt der Roboter sieht Alexander Kluge entspannt entgegen. Eine Studie der Eliteuniversität MIT habe gezeigt, dass Mitarbeiter, die von künstlicher Intelligenz geführt werden, zufriedener seien als solche, denen ein menschlicher Chef Anweisungen gibt. Etwas gewissenhafter sollten nach Ansicht des Geschäftsführers der Berliner Kluge Consulting GmbH allerdings die kleineren und mittleren Unternehmen in die digitale Zukunft schauen. „Hier sind wir in Deutschland ganz schön hinterher. Acht von zehn Unternehmen kommunizieren noch per Fax“, bemängelt Kluge. Wenn, dann werde Digitalisierung vor allem als technologische Herausforderung gesehen, aber kaum als Chance für neue Formen der menschlichen Zusammenarbeit. Überzeugt ist er davon, dass die digitale Transformation in den Unternehmen nur gelingt, wenn sie von der Chefetage getragen und gelebt wird. Und auch für ihn steht außer Zweifel: Bei der Industrie 4.0 geht es in erster Linie um den Mitarbeiter 4.0. „Die Technologie ist nur Ausgangspunkt und Treiber der Entwicklung“. Die Herausforderung bestehe in einer künftigen Arbeitswelt, in der neue Einstellungen und Haltungen gefragt sind. Das Problem: Diese entstehen nicht von heute auf morgen.

Udo Renner, 18.10.2016