"Revolution in der Lehre"

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- Tagung über virtuelle Lehre - Experten aus drei Ländern an der Fachhochschule -
NÜRTINGEN (ab) Ausgestorbene Hörsäle und verwaiste Wohnheime. Für Hochschullehrer eine grauenhafte Vorstellung. Dennoch oder gerade deswegen waren letzte Woche Fachleute aus deutschen Hochschulen, aus Österreich und der Schweiz zu Gast an der an der Fachhochschule Nürtingen. E-Learning und "Virtuelle Lehre" waren die Themen des sogenannten 2. Trinationalen Marktplatzes. Was auf den ersten Blick wie das Ende von Hochschulvorlesungen erscheinen mag, entpuppte sich im Laufe der zweitägigen Tagung als notwendiges Mittel, um künftig am Bildungsmarkt zu überleben.

Das Fazit, das Gastgeber Rektor Prof. Dipl.-Ing. Klaus Fischer am Ende der Veranstaltung zog, war eindeutig und einfach zugleich: "E-Learning ist eine Revolution in der Lehre, der wir uns stellen müssen." Dass Veranstalter Professor Rainer Ziegler, Vorsitzender der Bundesdekanekonferenz Wirtschaftswissenschaften von der Technischen Fachhochschule Hochschule Berlin, die FH-Nürtingen mit knapp 4000 Studierenden zum baden-württembergischen Zentrum für multimediales Lernen entwickeln möchte, kann der Sache nur dienen.
Die Befürchtung, E-Learning könne Verödung von Hochschulen beitragen, gehört nach der Tagung in das Reich der Märchen. Die Referenten aus Hochschulen und international tätigen Unternehmen konnten dies eindrucksvoll und beispielhaft darstellen. Sie füllten den Begriff der "Virtuellen Lehre" mit Inhalt und machten E-Learning durch Präsentationen erlebbar. Dass es nicht um die Frage gehe "E-Learning oder Live-Vorlesung?" stellte Prof. Dr. Ulrich Glowalla, der an der Universität Gießen seit Jahren eine Forschungsgruppe zur virtuellen Lehre leitet, in seinem Vortrag dar: "Das flüchtige Erlebnis des Besuches einer Präsenzveranstaltung kann durch virtuelle Lehre gesteigert werden." Deutlich entkräftete Glowalla die Furcht vor leeren Hörsälen: "E-Komponenten dienen immer nur als Ergänzung."
In Unternehmen erhält E-Learning einen zusätzlichen Aspekt. Helmut Novacek vom Düsseldorfer Beratungsunternehmen Deloitte & Touche sprach die mangelnde Zeit an. E-Learning könne durch den Wegfall von Anfahrtswegen und Terminierungsproblemen zu Vorteilen führen. Mit der entsprechenden Infrastruktur sind Lerninhalte jederzeit und überall auf der Welt verfügbar. Die Credit Suisse Financial Services arbeitet in der Weiterbildung bereits seit zehn Jahren mit E-Learning. Mit teilweise "peppig" aufgemachten und animierten Schulungen wird der Spieltrieb der Teilnehmer geweckt. Die Resonanz ist nach Aussage von Thomas Glatt, der den E-Learning-Prozess in Zürich seither begleitet, außerordentlich gut. In Anlehnung an die Quiz-Show "Wer wird Millionär" prüfen die Mitarbeiter der Credit Suisse Financial Services ihr Fachwissen. Mit jeder richtigen Multiple-Choice-Antwort geht es nach oben. Für Glatt ist es wichtig, Denkanstöße zu geben: "Wir regen die Leute zum Nachdenken an."
Radko Zonsarow, der mit seiner Firma Qualification Network AG in Leipzig Lernmodule entwickelt, will mehr als nur Denkanstöße geben. Er verdeutlichte dies bei der Tagung an der Fachhochschule Nürtingen mit provokanten Aussagen: "Ein Unternehmer zahlt nicht für das Wissen seiner Mitarbeiter, sondern für das Können." Für Zonsarow ist die Frage, warum jemand lerne, von entscheidender Bedeutung. Neugier treibe Menschen sogar soweit, für Weiterbildung zu bezahlen. Aus diesem Grund müsse an die Selbständigkeit der Lernenden geglaubt werden und der Kunde von Lernangeboten wirklich ernst genommen und wertgeschätzt werden.
Einen starken didaktischen Ansatz haben die virtuellen Lehrmodelle Dr. Jutta Pauschenwein vom Zentrum für Multimediales Lernen der Fachhochschule Johanneum Graz. Ziel ist es, die Studierenden zum Lernen zu bringen. Im Gegensatz zu anderen Referenten sieht Frau Dr. Pauschenwein die Inhalte nicht als das Notwendigste an. "Ein Pdf-File zum Herunterladen reicht auch, man muss nur den Mut haben mit kleinen Schritten anzufangen." Daß Inhalte, das so genannte Content-Management, zu den zunehmenden künftigen Aufgaben im E-Learning gehöre, war eine der Aussagen von Dr. Klaus Schmitz von der Uni Bamberg. Es reiche nicht aus, Konzepte aus anderen Bereichen zu übernehmen. Individuelle Lösungen seien notwendig.
Kritisch betrachtete Frau Barbara Leithner vom Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen die Erfolgskontrolle im E-Learning. Aspekte, wie beispielsweise Vorgesetzte oder die Personalabteilungen über die Qualität von E-Learning-Methoden denken, spielten kaum eine Rolle. Der Erfolg von E-Learning-Modellen sei vielschichtig. Man müsse die Qualität aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: personenbezogen, produktbezogen, organisationsbezogen und vor allem unter dem Aspekt des Bildungsprozesses.
Dass E-Learning und "Virtuelle Lehre" real sind, bewies Prof. Dr. Wolfgang Schreiner von der österreichischen Fachhochschule Hagenberg. Dort werden nämlich seit zwei Semestern junge Menschen im einzigartigen Studiengang "Computer-basiertes Lernen" ausgebildet. Ziel des auf acht Semester angelegten Studiums ist es, eine technische Unterstützung für die Didaktik zu liefern. Der Glaube an die Zukunft von E-Learning ist in Hagenberg ungebrochen. Der Ausblick Schreiners für die künftigen Absolventen in Sachen E-Learning: "Ich hoffe, dass sie es besser machen, denn es lässt sich viel verbessern."
Viele technischen Entwicklungen, die vor zwanzig Jahren noch unvorstellbar waren sind heute Realität. Technisch wird sich nach Meinung von Prof. Dr. Dr. Heribert Popp vieles auf E-Learning zubewegen. Ihm sind Prüfungen bekannt, die inzwischen über das Internet abgelegt werden. Es sei kein Problem, in naher Zukunft Tests mittels Handy zu absolvieren. Große Displays und eine hohe Bedienerfreundlichkeit würden es möglich machen. 1980 sei er belächelt worden, als er den Erfolg des Computers prophezeite. Heute setzt er auf Mobilität und E-Learning: "Sie werden sehen, es kommt."