Online und offline funktionieren nur zusammen

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Sie sind erfolgreich in ihren Nischen: Gudrun Leibbrand von Speick Naturkosmetik, Saba Kakavand, die Geschäftsführerin von MFS Pharma, EDEKA-Händler Steffen Ueltzhöfer und Dominik Tress, Geschäftsführer von Küchenbrüder TRESS Lebensmittel.

Sie sind erfolgreich in ihren Nischen: Gudrun Leibbrand von Speick Naturkosmetik, Saba Kakavand, die Geschäftsführerin von MFS Pharma, EDEKA-Händler Steffen Ueltzhöfer und Dominik Tress, Geschäftsführer von Küchenbrüder TRESS Lebensmittel. In der Mitte HfWU-Professor Dr. Dirk Funck.

- 2. Branchentag mittelständischer Handel an der HfWU - 

Der Einzelhandel leidet. Online Händler machen den Läden in den Städten das Leben schwer. Doch der Trend hin zu Fitness Gesundheit und Ernährung schafft Wachstumsperspektiven.

 

Healthiness, sportivity &organic 3.0. Hinter diesen Schlagworten verbergen sich die Megatrends, die besonders dem mittelständischen Einzelhandel große Chancen bieten. Diese wurden auf dem Handelstag in Nürtingen engagiert und kontrovers diskutiert – eine Veranstaltung die bereits zum zweiten Mal als Kooperation zwischen der HfWU und dem Handelsverband Baden-Württemberg ausgerichtet wurde. Prof. Dr. Dirk Funck, verantwortlich für die Organisation und Moderation der Tagung, konnte am Ende ein eindeutiges Fazit ziehen: Bei so viel Professionalität und Veränderungsbereitschaft ist es mir um die Handelsbranche nicht bang“.

Mann und Frau von heute ist sportlich, lebt gesund und ernährt sich biologisch-organisch: „Es wird suggeriert, man müsse fit und gesund sein“, so fasst Florian Schöps von der Münchener BBE-Handelsberatung den jüngsten Lifestyle Trend zusammen, der für eine Marktentwicklung steht, die sich in den letzten Jahren glatt verdoppelt hat. „Gesundheit ist eine Ressource“, stellte HfWU-Rektor Prof. Dr. Andreas Frey in seinem Grußwort fest, und so treiben drei Viertel aller Freizeitathleten ihren Sport gesundheitsorientiert.

Ausrüstung und Kleidung sind dabei nicht alles: Dreißig Prozent Training und siebzig Prozent Ernährung sind die Formel, um den Anforderungen an Fitness und Gesundheit gleichermaßen zu genügen. Sportgeschäfte und der Lebensmittelhandel profitieren von dieser Nachfrage gleichermaßen, aber auch alle Händler, die die entsprechenden digitalen Helferlein im Angebot haben. Robert Waloßek vom Traditionsgeschäft BETTENRID macht gute Geschäfte rund um das Thema Schlaf. Sein Haus setzt, im Angesicht der Online-Konkurrenz, konsequent auf den „Einkauf als Erlebnis“. In bester Münchener Lage konzentriert sich BETTENRID auf Präsentation und Inszenierung: Veranstaltungen, Lesungen und Konzerte für eine Zielgruppe, die sich durchaus online informiert, auf den Besuch zum Kauf in einem Geschäft aber nicht verzichten will. Waloßek sieht seinen Erfolg in der Zusammenarbeit mit anderen: „Da Schlafberatung mehr ist, als eine Matratze zu verkaufen, arbeiten wir mit Orthopäden zusammen. Besondere Events lassen sich zudem viel attraktiver mit den benachbarten Kollegen gemeinsam gestalten.“.

Das Geschäft mit der Gesundheit hat jedoch auch eine gesellschaftliche Bedeutung. So trifft der wachsende Markt mit der sportiven Fitness und Ernährung auf eine Arbeitswelt, in der jährlich 59 Milliarden Euro durch krankheitsbedingte Abwesenheit „verbrannt“ werden. „Da geht es um Psyche, Atmungsorgane, um Muskeln und Skelett“. Hinter letzterem steckt die Volkskrankheit „Rücken“, die laut dem AOK-Vertreter Timo Rebmann durch Für- und Vorsorge am ehesten in den Griff zu bekommen ist. So dreht sich vieles in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge um Bewegung und Ergonomie. „Obwohl“, so Rebmann, „die meiste Luft ist bei der Ernährung drin. Jeder Euro der hier investiert werde, komme in doppelter Höhe zurück.

Beim Thema Ernährung setzt Jochen Widmann, Inhaber eines Lebensmittelmarktes in dem „gallischen Dorf“ Ehingen, ebenfalls auf medizinischen Beistand. Die große Nachfrage nach Bioprodukten kann er in seinem ländlichen Umfeld noch nicht feststellen, aber regionale Produkte sind gefragt. Und die versieht er mit Gesundheitsempfehlungen des örtlichen Arztes und trifft so die Nachfrage nach Gesundem. Für den Gesamtmarkt sieht die Entwicklung laut Christoph Soika, einem Handelsexperten für Bio-Produkte, anders aus: Vegan, paleo, hybrid, clean eating, low carb oder super food – der Trend zu Biolebensmitteln nimmt zumindest in seinen begrifflichen Ausformungen verwirrende Züge an, auf die aber der Einzelhandel reagieren muss. Schon deshalb, weil die Deutschen mehr Geld für gesunde Lebensmittel ausgeben: Rund tausend Euro mehr pro Jahr, als noch vor zehn Jahren. Dabei macht es der Handel den Kunden nicht leicht. Soika bemängelt, dass zu wenig qualifizierte Mitarbeiter die Kunden bei der Fülle der Bio-Kennzeichnungen qualifiziert informieren und beraten können. „Hier den zunehmend verwirrten Kunden Orientierung zu geben, das ist die Chance des stationären Einzelhandels gegenüber den Online-Anbietern. Dazu muss man aber die eigenen Mitarbeiter schulen und als Investition sehen, nicht als Kostenfaktor“. Dieses Argument zog sich beim Branchentag durch alle Beiträge: Wer gegen Discounter und Online-Anbieter bestehen will, kann dies nur durch Mehrwert erreichen, den es durch zusätzlichen Service und qualifizierte Mitarbeiter gibt.

Auffällig auch, die Teilnehmer der Podiumsdiskussion am Ende des Tages waren sich einig: Online und Offline funktionieren nebeneinander und in allen denkbaren Kombinationen. Der stationäre Einzelhandel ist allen Unkenrufen zum Trotz mitnichten vom Aussterben bedroht. : So stellt EDEKA-Händler Ueltzhöfer fest, dass sein „Drive-Inn“ Handel nur mäßig angenommen wird und Saba Kakavand, Geschäftsführerin eines Pharma-Unternehmens, will trotz bisher ausschließlicher Online-Präsenz mit ihren Produkten auch den Weg in die Apotheken finden. . Umgekehrt betreiben Speick (Naturkosmetik) und BETTENRID anspruchsvolle Online-Shops, um auch in der virtuellen Welt das markentypische Einkaufserlebnis zu schaffen.

Unterstützt von der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen, der AOK und dem HfWU-Hochschulbund hat dieser Branchentag laut Prof. Dr. Dirk Funck eine weitere Erkenntnis zu Tage gefördert: „Die Chancen des mittelständischen Handels liegen im Erkennen und Erfüllen der individuellen Kundenbedürfnisse – Produkte verkaufen können Filialisten und der Onlinehandel auch – und das meistens günstiger.“

Gerhard Schmücker
Nürtingen, 27.04.2016