Ohne Sprache keine Bildung - Podiumsdiskussion im Studium Generale

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Für das Podium ist Bildung ein Schlüsselfaktor, davor steht aber die Sprache: (v.l.n.r.) Sven Singerl, Wibke Backhaus, Monzer Haider und Kerim Arpad.

- Podiumsdiskussion zur Integration über Bildung – Studium Generale an der Hochschule -

NÜRTINGEN (hfwu). Wohl selten herrscht bei Podiumsdiskussionen so viel Einigkeit: Die Sprache ist entscheidend für die Flüchtlingsintegration, erst recht, wenn es um Bildungschancen geht. Und Bildung wiederum ist der Schlüsselfaktor, um Flüchtlingen den Zugang in die deutsche Gesellschaft zu verschaffen. 

Unter diesem Titel „Schlüsselfaktor Bildung“ diskutierten Experten und Betroffene im Rahmen des Studium Generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen. Für Hochschulrektor Professor Dr. Andreas Frey kommt die Diskussion zum richtigen Zeitpunkt. Für die Mehrzahl der Flüchtlinge seien drängende Fragen wie Unterbringung, Versorgung und die Dinge des täglichen Lebens inzwischen geregelt. Nun gehe es darum wie es weitergehe und bei der Frage nach der Zukunft, spiele die Bildung eine zentrale Rolle. Seit Beginn der Flüchtlingswelle habe die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Angebote entwickelt, um ihren Teil zur Integration der Neuankömmlinge beizutragen. Anfangs waren die Reaktionen verhalten. Dies ist jetzt anders: Die Vorbereitungskurse für ein Hochschulstudium, die das International Office der Hochschule organisiert, sind voll. „Es gibt eine Warteliste“.  

Wibke Backhaus, die an der Hochschule Heilbronn die Flüchtlingsarbeit koordiniert, überrascht dies nicht. „Als wir die erste Informationsveranstaltung anboten, hatten wir 200 Stühle aufgestellt. Es kamen 400 Interessenten“. Backhaus berichtet von Studierenden an ihrer Hochschule, die ein enormes Durchhaltevermögen, hohe Motivation und großen Elan an den Tag legten. „Solche Leute wollen wir als Studierende haben. Wir würden etwas verlieren, es gibt hier Chancen für die Menschen und die Hochschulen“.  

Monzer Haider, der selbst als syrischer Flüchtling inzwischen an der Universität Tübingen studiert, bestätigt dies: „Viele von uns wurden durch Krieg und Flucht direkt aus dem Studium herausgerissen. Jetzt wollen wir das Studium fortsetzen“. Von diesem Wunsch nach Bildung können alle Seiten profitieren. Nürtingens Oberbürgermeister Otmar Heirich fordert, dass Bildung allen zugänglich sein müsse. Und wenn mit Hilfe der Flüchtlinge die Facharbeiterlücke geschlossen werden solle, dann nur über ein Höchstmaß an Bildung. Vor der Bildung stehen jedoch die Sprachkenntnisse.Sven Singler, der Integrationsbeauftragte der Stadt Nürtingen betont, dass der Bildungsfaktor Sprache über allem stehe. Gleichgültig, ob es um Hochschulzugang oder Ausbildungseinstieg gehe. Die Stadt unternehme hier eine große Kraftanstrengung. Man sei am Rande der Möglichkeiten. Hinzu kämen hohe Eingangshürden für Flüchtlinge, um auf dem Bildungssektor Fuß zu fassen. Singler wünscht sich noch mehr Zusammenarbeit mit allen Akteuren und streicht die Arbeit der Ehrenamtlichen heraus, unter denen auch Studierende und Mitarbeiter der Hochschule vor Ort seien.  

Kerim Arpad leitet das Deutsch-türkische Forum in Stuttgart. Angesichts vieler Hürden vor Studium und Beruf wünscht er sich von den Hochschulen Angebote, die vor dem Studienbeginn greifen: Schnupperkurse, Praktika oder duale Veranstaltungen. Davor warnt Wibke Backhaus. Ein Gasthörerstatus, der vielen Flüchtlingen die Teilnahme an Vorlesungen erlaubt, löse nach anfänglicher Euphorie nur Frustrationen aus. „Sie erkennen irgendwann, dass das gar nichts bringt. Keine Anrechnung, keine Prüfungserlaubnis, keine Noten – nichts!“. Die Herausforderungen müssten laut Kerim Arpad zu meistern sein, da Migration in Deutschland nichts Neues sei: „Das haben wir seit 60 Jahren, wir konnten Erfahrungen sammeln“. Diese Erfahrungen zu teilen, die enge Zusammenarbeit mit allen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv seien, war der gemeinsame Nenner der Podiumsteilnehmer.  

Der Weg zur Integration über Bildung ist für Flüchtlinge lang und voller Hürden, vor allem bürokratischer Art. Dazu braucht es Begleitung von vielen Seiten. Die Alternative wäre, weniger Bürokratie. Dieses Haupthindernis für Flüchtlinge kennt Monzer Haider aus eigener Erfahrung: „Mit der Bürokratie in Deutschland sind nicht nur wir Flüchtlinge, sondern auch die deutschen Ehrenamtlichen überfordert“.  

Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen der öffentlichen Reihe des Studium Generale der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) unter der Leitung von Professor Dr. Konstanze Krüger statt. Professor Dr. Michael Wörz moderierte die Veranstaltung, die die Stadt Nürtingen, der HfWU-Hochschulbund, der Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD und das Referat für Technik- und Wissenschaftsethik in Karlsruhe unterstützten.

Gerhard Schmücker, Nürtingen, 20.10.2016