Deutsches Trauma Inflation

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Referent Stocker vor Präsetation

Frank Stocker erläuterte die Entwicklung bis zur Hyperinflation 1923 (Fotos: HfWUrenner)

Die Paneldiskussion mit Dr. Patricia Staab, Frank Stocker und Prof. Dr. Philipp Paulus (v.l.)

Vortrag im Studium generale zur Hyperinflation 1923 und der Vergleich zu heute

NÜRTINGEN (hfwu). Das „kollektive Trauma“ der Hyperinflation der Jahre 1923 und 1929 wirkt in Deutschland auch noch hundert Jahre danach. So der Befund eines Blicks in die Geschichte. Den nahm ein Studium-generale-Abend an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) vor und fragte, was sich daraus zum Thema Inflation für heute lernen lässt.

1921 kostet ein Laib Brot 66 Pfennig. Noch zeigt sich in den Preisen nicht, wie es tatsächlich um die Wirtschaft in Deutschland steht. „Wir waren schon 1921 in einer sehr dramatischen Situation“, so der Journalist und Historiker Frank Stocker in seinem Vortrag an der HfWU in Nürtingen. „Die Inflation von 1923 – welche Lehren hält die Geschichte für uns bereit“, lautete der Titel des Studium-generale-Abends. Mit detailreichen Ausführungen zeichnete der WELT-Journalist den Weg zur katastrophalen Geldentwertung Anfang der 20er-Jahre nach. Der begann schon 1914. Um den Krieg finanzieren zu können wurde die Goldbindung der Währung aufgehoben. So hatte sich nach dem Krieg die Staatsschulden verfünzigfacht. Zudem galt es, den Übergang von einer Kriegs- zu einer Friedenswirtschaft zu stemmen und die Kriegshinterbliebenen zu versorgen. Hinzukam der Verlust von Bevölkerung, Gebieten und Rohstoffen. Zu alle dem kamen noch die Reparationen im Gegenwert von 50.000 Tonnen Gold. Eine Wirtschaft am Rande des Zusammenbruchs. Jetzt, 1922, kostet der Laib Brot acht Mark.

Die Studium-generale-Veranstaltung hatte die Hochschule mit Unterstützung der Reinhold Maier Stiftung Baden-Württemberg und ihrer Geschäftsführerin Melanie Kögler organisiert. Rund 50 Interessierte waren zum Vortrag und der anschließenden Diskussionsrunde an die HfWU nach Nürtingen gekommen.

Zu den kriegsbedingten ökonomischen Bürden kam die Ermordung von Reichsaußenminister Rathenau. Trotz eines von ihm ausgehandelten Zahlungsmoratoriums ist Deutschland 1923 zahlungsunfähig. Frankreich und Belgien besetzen das Rheinland. Die Regierung weiß sich nur mit einer künstlichen Steigerung der Geldmenge zu helfen. „Die Notenpressen ratterten wie verrückt“, beschreibt Stocker die Zeit der „Inflation von 1923“. In seinem gleichnamigen Buch zeigt er vor allem auch, wie sich diese auf das Leben der Menschen auswirkte. 1923 kostet der Laib Brot 800 Milliarden Mark.

Ein Ende und Neuanfang kommt schließlich mit Reichskanzler Gustav Stesemann. Ihm gelingt es die maßgeblichen politischen Kräfte zusammenzuführen und Reformen einzuleiten. Ein Viertel der Beamten wird entlassen, eine neue Notenbank gegründet, aus einer Billion Mark wird eine „Rentenmark“. Der Spuk des Jahres 1923 ist vorbei. „Die Inflation war quasi über Nacht besiegt“, so Stocker. Sie sollte mit noch katastrophaleren wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen 1929 wiederkehren – und sich beide Hyperinflationen, so der Wirtschaftsexperte, als Trauma ins kollektive Gedächtnis der Deutschen einbrennen.

2023 kostet ein Laib Brot durchschnittlich 2,30 Euro. Laut Statistischem Bundesamt ist der Preis für Brot seit 2020 um rund 37 Prozent gestiegen. Ist die Inflation von 1923 mit der von 2023 vergleichbar? Das war eine der Fragen in der Diskussion im Anschluss an den Vortrag von Frank Stocker. Neben dem Buchautor beteiligten sich Dr. Patricia Staab, Präsidentin der Hauptverwaltung in Baden-Württemberg der Deutschen Bundesbank und HfWU-Professor Dr. Philipp Paulus an dem von der SWR-Wirtschaftsredakteurin Geli Hensolt moderierten Podium.

„In der EU wird der so genannte harmonisierte Verbraucherpreisindex verwendet, um die Höhe der Inflation festzustellen“, erläuterte Staab. Allerdings gebe es bestimmte Komponenten im Indexsrate, die extrem volatil seien, etwa die Nahrungsmittelpreise. Der Brotpreis allein also spiegelt nicht die allgemeine Inflationsentwicklung wider. „Die Hauptinflation und die Kerninflation – die ohne die stark schwankenden Komponenten – entwickeln sich in die richtige Richtung“, so die Einschätzung der Bundesbankerin. Mit dem jüngsten Rückgang der Inflation habe sich die Geldpolitik der Zentralbanken bewährt, noch sei man aber nicht am Ziel, so Staab. Paulus wie Stocker sehen in der Strategie der Europäischer Zentralbank wie der Bundesbank ein im Prinzip richtiges Vorgehen. „Das Grundproblem ist, Inflation hilft den Regierungen Konflikte zu glätten, die Steuereinnahmen steigen und die Schuldenlast wird geringer“, so Phillip Paulus, „aber das ist verführerisch, es besteht die Gefahr, dass das außer Kontrolle gerät.“