Klebrige Masse Patriarchat

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Die Autorin Alexandra Zykunov im Gespräch mit Sabine Wanko (links) und Prof. Dr. Anka Reich (rechts).

Alexandra Zykunov (Foto: Andreas Sibler)

- Spiegelbestseller-Autorin, Influencerin und Feministin Alexandra Zykunov bei Lesung im Rahmen des Studium generale -

NÜRTINGEN(hfwu). Bullshitsätze nennt Alexandra Zykunov Aussagen wie „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“. Aus ihrem Buch mit dem gleichlautenden Titel las die Journalistin im Rahmen des Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen. Bekannt ist Zykunov für ihre pointierten Texte zu feministischen, familienpolitischen und Nachhaltigkeits-Themen.

Im langen Kleid mit herbstlichem Muster und adrett geblümter Jacke, so erschien Frau Zykunov zur Lesung an der HfWU. Ein solcher Satz zur Einleitung eines Zeitungsartikels – Alexandra Zykunov hätte ihn gestrichen. Leider gäbe es aber solche Sätze immer noch viel zu oft. Sätze, die unerhebliche Äußerlichkeiten von Frauen beschreiben, statt Inhalte zu thematisieren. „In mancher Hinsicht leben wir in Deutschland noch in der 60er-Jahren“, so die Co-Redaktionsleiterin des Magazins Brigitte Be Green.

Den Satz „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ habe sie lange selbst geglaubt. „So lange, bis ich mein Gehalt verhandeln wollte, Mutter geworden bin oder auf Partys diskutiert habe. Mit diesen Erfahrungen wirst du eines Besseren belehrt“, berichtet die 37-Jährige. „Wutfluencerin“ wird Zykunov mitunter genannt. Mit ihrer Empörung ist sie aber keineswegs allein. Auf Instagram hat sie mehr als 50.000 Follower. Ihre im Internet geteilten Erfahrungen würden von unzähligen Frauen bestätigt, berichtet die Autorin. So sei auch die Idee für das Buch zu den Bullshitsätzen entstanden.

Zu den vorherrschenden Denkmustern auf der zykunovschen Unsäglichkeitsliste gehört „Wo ist denn dein Kind heute Abend?“. Männern werde diese Frage nie gestellt. Tatsache in Deutschland sei, dass nur vier von zehn Vätern Elternzeit nehmen. Männer Anfang dreißig erledigten nur halb so viel Haus- und Pflegearbeit wie ihre Frauen. Kein Wunder, so Zykunov, es fehle an Vorbildern. Dies habe viel mit unserer Sozialisation zu tun. Diese beginne mit Rollenmodellen in Märchen, reiche über die Art von Spielzeugen und stereotype Disney-Geschichten bis zu Geschlechterrollen in der Werbung.

„Frauen wollen doch gar keine Karriere machen“, ein weiterer Bullshitsatz. „Es gibt unzählige Studien, die das widerlegen“, sagt die Spiegel-Bestsellerautorin. „Bei der Frage, wer eingestellt wird, gibt es ein klare geschlechterstereotype Diskriminierung. „Als Frau wird man immer als Frau in einer Führungsrolle gesehen und nicht nur mit den Kompetenzen oder Erfahrungen, die man einbringt“, ist die 37-Jährige überzeugt.

Im Anschluss an die Lesung moderierten die Gleichstellungsbeauftragte der HfWU, Prof. Dr. Anka Reich, und die Leiterin der Zentralen Studienberatung an der Hochschule, Sabine Wanko, die Diskussion mit dem Publikum. Wie ankämpfen gegen die herrschenden Verhältnisse?, so eine der Fragen. Um die „klebrige Masse des Patriarchats loszuwerden, die an allen Rädchen der Gesellschaft hängt“, so Zykunov, bedürfe es nach wie vor beharrlicher Aufklärung, viel mehr Frauen in Entscheidungsgremien, um auf allen Ebenen die weibliche Perspektive zu stärken, und die Frauen sollten sich noch mehr vernetzen und für ihre Sache verbünden. Aber, so ergänzte Anka Reich, „wir können es nur gemeinsam, zusammen mit den Männern schaffen.“

Die Lesung in der Futurebox, dem Gründerzentrum der HfWU in Nürtingen, war schnell ausgebucht, sodass die Hochschule zusätzlich eine online Übertragung organisiert hatte. Weit mehr als hundert Interessierte waren vor Ort und am Bildschirm zu der Studium-generale-Veranstaltung gekommen.