Ist in Amerika wirklich alles besser?

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Ein Anziehungspunkt für Studierende und Forscher aus aller Welt: die Columbia University in New York City.

Ein Anziehungspunkt für Studierende und Forscher aus aller Welt: die Columbia University in New York City.

NÜRTINGEN. (üke) Als unlängst der CDU-Chef im Landtag, Günter Oettinger, an der Hochschule Nürtingen die ersten Wirtschaftsjuristen verabschiedete, wünschte er sich, dass die jungen qualifizierten Akademiker dem Land erhalten blieben. Eine Hoffnung, die sich nur zum Teil erfüllte. Zwei der Preise für die besten Absolventen mussten deren Eltern entgegen nehmen. Die Preisträger hatten bereits ihre ersten Jobs angetreten: In Amerika.

Vor allem für Akademiker sind die Aussichten in den USA vielversprechender, als auf dem trüben deutschen Arbeitsmarkt. Schon während des Studiums wagen viele deutsche Studierende den Schritt über den großen Teich. Teilweise horrende Studiengebühren wirken dabei wenig abschreckend. Gute Studierende sind an amerikanischen Hochschulen gern gesehen und werden umworben. Ein Vertreter der Hochschule Nürtingen informiert sich derzeit auf Einladung der Fulbright Kommission über das amerikanische Bildungswesen. Ein immer wieder kehrender Tagesordnungspunkt ist dabei der Zustand des deutschen Hochschulwesens, die anstehenden Reformen und die im Vergleich dazu paradiesisch anmutenden Verhältnisse in den USA.
Auch in den USA fehlt den Universitäten das Geld an allen Ecken. Die Studiengebühren, die hierzulande gerne als Lösung für die Finanzmisere der Hochschulen gesehen werden, decken an den staatlichen Hochschulen weniger als die Hälfte des Budgets. Der Großteil der Gelder kommt vom Staat, der wie in Deutschland den Rotstift an die Bildungsausgaben ansetzt, und von Spenden. Das Studium ist in zwei Abschnitte geteilt. Nach vier Jahren erhalten die Studierenden den Bachelor Abschluss. Danach folgt das sogenannte „Graduate Program“, über das besonders qualifizierte Studierende den Master-Abschluss erreichen können. Genau dieses System wird nun von den deutschen Hochschulen übernommen. An der Hochschule Nürtingen werden bis 2006 alle Studiengänge in diese Struktur umgewandelt werden. Dies verlangt das neue Hochschulgesetz. Vor allem die Bachelor Studierenden bilden das Massengeschäft der US-Universitäten. Sie tragen den Großteil der Studiengebühren. Gleichzeitig steht ihnen ein System der finanziellen Unterstützung zur Verfügung. Trotzdem ist es immer häufiger der Fall, das durchschnittliche Absolventen mit dem Bachelor in der Tasche und dreißig bis vierzig Tausend Dollar Schulden auf dem Buckel die Universitäten verlassen. Anders sieht es dagegen bei den Master-Studierenden aus. Sie zahlen zwar noch höhere Studiengebühren, die ihnen aber häufig von der Universität erlassen werden oder sie erhalten großzügige Stipendien. Diese sogenannten Graduate Studierenden arbeiten vor allem in der Forschung und tragen zum Renommee der Lehrstühle bei. Es liegt im ureigenen Interesse der Hochschulen, möglichst die besten Graduate Studierenden zu bekommen, koste es was es wolle. Die Herkunft spielt keine Rolle und daher rührt auch die Anziehungskraft für Studierende aus dem Ausland.
Martin ist ein Student für Landschaftsökologie an der University of Montana. Fast hätte er vor Jahren an der Hochschule Nürtingen ein Studium der Landschaftspflege begonnen. Heute hat er seinen Master in der Tasche und beginnt im Herbst mit seiner Doktorarbeit. Ein Forschungsstipendium macht dies möglich. Verschafft hat ihm dies sein Professor, der den jungen deutschen Nachwuchswissenschaftler an seinem Institut halten will. Entgültig zugesagt hat Martin noch nicht. Er hatte sich auch noch an anderen Universitäten beworben und auch Angebote erhalten. Darin liegt der Schlüssel für die Anziehungskraft der amerikanischen Hochschulen: Sie schaffen Chancen für die Absolventen und sind an deren Arbeit interessiert. Wer dagegen als ausländischer Studierender in Deutschland mit viel Geld ausgebildet wird, muss das Land verlassen, steht der heimischen Wirtschaft nicht zur Verfügung. Zum anderen gibt es zu wenig Arbeit für Akademiker, die außerhalb der Hauptdisziplinen Wirtschaft und Ingenieurwesen ausgebildet werden.
Ist in Amerika wirklich alles besser? Die Vertreter des DAAD-Außenbüros in New York behaupten, die besten Hochschulen gäbe es dort. Ein deutsches Magazin titelte unlängst „die Besten verlassen das Land“. Tatsächlich trifft man an jeder Hochschule junge deutsche Studierende oder Forscher, die dort ihr Glück versuchen und oft finden. Die meisten haben jedoch zunächst in Deutschland ihre Qualifikation erhalten, die sie erst für die amerikanischen Universitäten attraktiv macht. Dies spricht für die Qualität des deutschen Hochschulwesens. Dies zu erkennen, braucht es oft den Blick von außen. So sagte ein belgischer Teilnehmer des Fulbright Seminars, „eure deutsche Krebsforschungsgesellschaft und die Max-Planck-Institute sind einmalig auf der Welt“. Tatsächlich können beide Seiten, gerade in Zeiten politischer Nervosität, viel voneinander lernen. Leider werden dabei von deutscher Seite zunehmend die Chancen verspielt. Von den vier Goethe Instituten an der Westküste wurden drei geschlossen. Für die Professoren des Germanistik-Lehrstuhles der University of Montana wird dadurch ihre Arbeit, deutsche Kultur und Sprache zu vermitteln, schwerer. Gleichzeitig kommen immer weniger amerikanische Studierende nach Deutschland zum Studium. Trotz vieler deutscher Vorfahren hat Spanisch Deutsch in der Beliebtheit als Fremdsprache verdrängt. Einem amerikanischen Deutsch-Professor bleibt hier nur die Flucht in den Sarkasmus. „Bei der Frage, ob man lieber Deutsch oder Spanisch lernen will, kommt es darauf an, ob man später mit seinem Chef reden muss oder mit seinem Gärtner“.

Gerhard Schmücker, 21.05.2004