Höchste Zeit für eine neue Aufklärung

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Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker stellte an der HfWU in Nürtingen seine Thesen zur Bewältigung der globalen ökologischen Krise vor. (Foto: HfWUrenner)

- Wissenschaftler und Ökoaktivist Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker sprach über globale ökologische Krise und ihre Lösung -

NÜRTINGEN (hfwu). Mit energischer Leidenschaft trug Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen seine Zeitdiagnose und Lösungsvorschläge für die ökologische Krise vor. Der Wissenschaftler und Ökoaktivist setzt auf eine neue Aufklärung, eine Effektivitätsrevolution und die Bändigung des Finanzmarktkapitalismus.

In wenigen Monaten wird er 80 Jahre alt, das Engagement und der Einsatz für die Sache von Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker scheinen davon unberührt. In manchen Augenblicken während seines Vortrags an der HfWU im Rahmen des Studium generale macht er aus seiner Wut keinen Hehl. „Wie sind wie Therapieärzte, die völlig idiotische Therapien vorschlagen – Therapien, die die Krankheit noch schlimmer machen.“ Schwer krank ist unser Planet und die Ursache der Krankheit besteht in erster Linie in einem auf falsche Anreize ausgelegten Wirtschaftssystem, ist von Weizsäcker überzeugt.

Seine Liste der Symptome an denen der Planet leidet ist lang: eine drastisch zurückgehende Artenvielfalt, ein anhaltend hoher CO2-Ausstoß und Flächenverbrauch, steigende Temperaturen und Bevölkerungszahlen, übernutzte Meere, übersäuerte Böden. Die Umgestaltung der Erde durch den Menschen hat die Dimensionen eines neuen geologischen Zeitalters angenommen. Die Wissenschaft spricht vom Anthropozän. „Gemessen am Köpergewicht der an Land lebenden Wirbeltiere machen zwei Drittel davon Schlacht- und Haustiere aus, 30 Prozent die Menschen und nur drei Prozent davon sind Wildtiere“, führt von Weizsäcker ein weiteres Beispiel für den unheilvollen ökologischen Einfluss des Menschen an.

Begonnen hat für den Biologen die globale Schieflage mit dem Siegeszug des Neoliberalismus. „Seit dem Beginn der 90er-Jahre hat ein neues Denken eingesetzt. Der neoliberale Zeitgeist setzt auf Liberalisierung, Privatisierung, Deregulierung und einen schlanken Staat, gigantische Steuersenkungen kommen vor allem den Reichen zugute.“ In dieser „grundsätzlichen Denkumkehr“ sieht der ehemalige Bundestagsabgeordnete eine der Hauptursachen der heutigen Misere. Nun die Schuld ausschließlich den Unternehmen oder Politikern zu geben, greife aber zu kurz. Die neuen Rahmenbedingungen würden von der internationalen Finanzwirtschaft gesetzt. „Das Kapital regiert die Welt – das ist die heutige Realität“, glaubt der Wissenschaftler. 98 Prozent des heute weltweit in den Märkten flottierenden Kapitals sei nach einer Berechnung des Finanzexperten Bernard Lietaer rein spekulativ, nur zwei Prozent repräsentierten reale Waren und Dienstleistungen.

Eine Voraussetzung für eine nachhaltige Genesung der Erde sieht von Weizsäcker in einer neuen Aufklärung, „einem Abschied von Egoismus, Individualismus und intolerantem Rationalismus“. Der Grundgedanke dieser Aufklärung ist die Vorstellung einer allgegenwärtigen Balance – der Ausgewogenheit zwischen Mensch und Natur, Staat und Markt, Gerechtigkeit und Leistungsanreiz, Innovation und Bewährtem, langfristigem und kurzfristigem Denken. Nur – wie die historische Epoche der Aufklärung wird auch das neue Denken erst über einen langen Zeitraum entstehen. „So lange können wir nicht warten, wir müssen jetzt handeln“.

Wie dies konkret aussehen könnte, dafür gebe es zahlreiche Beispiele in seinem neuen Buch mit dem Titel „Wir sind dran – was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“. Das Werk, das von Weizsäcker zusammen mit Anders Wijkman verfasst hat, stellt den dritten Bericht des Club of Rome dar, dessen Co-Präsident von Weizsäcker ist. Der legendäre erste Bericht war 1972 mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ erschienen und gilt heute als eine der Initialzündungen für die Ökobewegung.

Sofort in die Tat umgesetzt werden könnten eine Kaskaden- oder Kreislaufwirtschaft, eine strikte Regulierung der globalen Finanzmärkte und eine Finanzmarktsteuer, Steueroasen könnten trockengelegt werden, Banken zu höheren Rücklagen gezwungen werden. Viel Potenzial sieht Weizsäcker zudem in einer von ihm seit langem propagierten Energie-Effektivitäts-Revolution: „Es ist physikalisch und technologisch möglich, fünf Mal mehr aus einer Kilowattstunde herauszuholen als wir das heute tun“. Und nicht zuletzt komme es auf jeden Einzelnen an. Jeder könne durch lokale Projekte zu einer Wende beitragen.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion im überfüllten Hörsaal an der HfWU rückt von Weizsäcker sein mitunter erzürntes Engagement ins rechte Licht. „Ich bin nicht moralisierend, mir geht es darum, dass die Politiker solche Rahmenbedingen setzen, dass es den heute lebenden Menschen und zukünftigen Generationen, die sich verantwortlich und nachhaltig verhalten, nicht schlechter oder sogar bessergeht – und nicht die Gauner profitieren.“