Hochschulreform - Ein Milliardengrab?

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- Volkswirte diskutieren Reformstrategien-
NÜRTINGEN. (pm) Reformen an den Hochschulen sind nötig, greifen aber noch zu kurz. Dies war die Botschaft von Sachverständigen aus Hochschulen und Wirtschaft, die sich im Rahmen des Arbeitskreises Volkswirtschaft am vergangenen Freitag an der Fachhochschule Nürtingen versammelten Die Hochschulreform im Land und vor Ort und die Fortentwicklung des Studiengangs Volkswirtschaft an der Fachhochschule Nürtingen waren das Thema.

Die Hochschulreform stand auf der Tagesordnung, weil sie "trotz guter Ansätze in ihrer bisherigen Ausgestaltung die Weiterentwicklung der Hochschulen, insbesondere der Fachhochschulen, hemmt" - so Diplom-Volkswirt Wolfgang Wolf, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Landesverbandes der Baden-Württembergischen Industrie (LVI) und Vorsitzender des Arbeitskreises Volkswirtschaft an der Fachhochschule Nürtingen. Für Wolf wurzeln die Defizite der Hochschulreform in Übervereinfachungen bei der Analyse. Er schließt daraus, "dass volkswirtschaftliches Denken für die Zukunft von Hochschulen, Wirtschaft und Gesellschaft immer wichtiger wird" und sieht bereits deutliche Anzeichen für eine Renaissance der Volkswirte. Die Stellenangebote in deutschen Printmedien hätten im vergangenen Jahr für Volkswirte deutlich weniger abgenommen (- 28 Prozent) als für Betriebswirte (- 50 Prozent) und für Akademiker insgesamt (- 45 Prozent). Die Nürtinger Volkswirte kämen nach dem Diplom gut in der Wirtschaft unter, und die Zahl der Bewerbungen um einen Studienplatz habe sich verdoppelt.
Die Kritik an der Hochschulreform entzündete sich an der Ausgestaltung, nicht am Ziel. "Selbstverständlich müssen im Gefolge der Globalisierung auch die Hochschulen ihre Leistung steigern, und die Politik hat darauf hinzuwirken", betonte Prof. Dr. Margot Körber-Weik, Leiterin des Studiengangs Volkswirtschaft. Hierüber waren sich die anwesenden Volkswirte ebenso einig wie über die dafür erforderlichen Strategien: "Leistungssteigerungen lassen sich durch Wettbewerb zwischen den Hochschulen weit besser erreichen als durch politische Überregulierungen und Interventionen". Insofern gehe die Politik bereits in die richtige Richtung, sei jedoch noch nicht am Ziel. Viele der alten und manche der neuen Steuerungsinstrumente erinnerten an Zentralverwaltungswirtschaften. Das bedeute eine ungeheure Verschwendung von Ressourcen und gehe zu Lasten von Lehre und Forschung. Verbesserungen seien zu erwarten, wenn es gelänge, die Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb zu schaffen - namentlich Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit. Dazu seien finanzielle Steuerungsinstrumente besonders geeignet, allerdings nicht in ihrer aktuellen Ausgestaltung.
Die sog. leistungsorientierte Hochschulfinanzierung verspreche weit mehr, als sie halte. Die Verteilung der staatlichen Mittelzuweisungen auf die Hochschularten und Hochschulen orientiere sich so stark an den historisch gewachsenen Besitzständen, dass eine Umverteilung nach der Leistung selbst auf sehr lange Frist ausgeschlossen sei. Das bringe ausgerechnet die Hochschulen in Bedrängnis, die heute besonders leistungsstark sind - widerspreche also dem Ziel der Reform. Einerseits würden tradierte Wettbewerbsnachteile der Fachhochschulen nicht einmal allmählich ausgeglichen, namentlich die Rückstände bei der finanziellen und personellen Ausstattung. Andererseits würden bestehende Wettbewerbsvorsprünge der Fachhochschulen vernichtet, etwa bei der Studiendauer durch die Einführung der Bachelor- und Master-Abschlüsse.
Studiengebühren wären nach Auffassung der Volkswirte, auch der Studierenden, ein geeignetes neues Steuerungsinstrument - wenn sie so ausgestaltet werden, dass Chancengleichheit gewahrt bleibt. Die geplante Besoldungsreform für Professorinnen und Professoren hingegen werde mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringen, weil sie Kooperation und Motivation untergrabe.
Die Hochschulreform begnüge sich noch zu oft mit einer Übertragung betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente, die weder zur Hochschulkultur noch zur sozialen Marktwirtschaft passten und teilweise schon in Unternehmen als überholt gälten. Das wurzle in Steuerungsillusionen von Politik und Gesellschaft, die vielfach mit Aktionismus und bürokratischem Formalismus einher gingen. Deshalb könne die Hochschulreform, ebenso wie die Wirtschafts- und Sozialreform, nur mit einer Politikreform gelingen, die langfristige Leistungsorientierung über kurzfristige Wahltaktik stelle.
Im Arbeitskreis Volkswirtschaft engagieren sich über zwei Dutzend Sachverständige aus Praxis und Wissenschaft zusammen mit Ehemaligen, Studierenden und Lehrenden für die ständige Fortentwicklung des Studiengangs Volkswirtschaft/Economics. Der Vorsitz liegt bei Diplom-Volkswirt Wolfgang Wolf, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Landesverbandes der Baden-Württembergischen Industrie (LVI), die Geschäftsführung bei Prof. Dr. Margot Körber-Weik, Leiterin des Studiengangs Volkswirtschaft/ Economics. Als stellvertretender Vorsitzender wirkt Dr. Peter-Rüdiger Puf, Leiter der Abteilung Economic Research bei DaimlerChrysler, der auch dem Beirat angehört - zusammen mit Wolfgang Börtlein (Robert Bosch GmbH), Hilde Cost (IHK Region Stuttgart), Manfred Krischek (Deutsch-Japanische Gesellschaft), Dr. Bernd Stockburger (Textilverband Baden-Württemberg), Prof. Dr. Susanne Wied-Nebbeling (Universität Köln).
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an Prof. Dr. Margot Körber-Weik,
Leiterin des Studiengangs VWL, FH Nürtingen, Postfach 13 49,
72603 Nürtingen, Tel. (07022)201-332 oder (07121)240584,
E-Mail: margot.koerber-weik@hfwu.de