Große Themen in kleinem Rahmen

Veröffentlicht am |

Foto (HfWU/üke): Widmete sich dem schwierigen Verhältnis zwischen Kunst, Religion und Politik, der niederländische Politikphilosoph Prof. Dr. Jean-Pierre Wils.

- Studium Generale zu „Kunst, Religion und Politik" -

NÜRTINGEN (hfwu). „Wir werden auf Großes treffen“ sagte Pfarrerin Birgit Mattausch am Donnerstagabend in der Nürtinger Stadtkirche. Damit war klar umrissen, was die neue Veranstaltungsreihe des Studium Generale bereithält: Kunst, Religion und Politik. Drei Begriffe, die jeder für sich schon groß im Anspruch sind, im Dreiklang den Besuchern noch mehr abverlangen. Vor rund 40 Zuhörern startete das Studium Generale, zum ersten Mal als gemeinsame Veranstaltung der ökumenischen Hochschulgemeinde und den beiden Hochschulen für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) und Kunsttherapie (HKT).

HfWU Prorektor Valentin Schackmann sieht das Studium Generale als Teil der gesellschaftlichen Säule der HfWU. Johannes Juncker, Rektor der Hochschule für Kunsttherapie,  begrüßte kurz und knapp: „Klasse, dass wir zusammenarbeiten“. Das war´s dann auch mit den einfachen Worten. Professor Dr. Jean-Pierre Wils, politischer Philosoph von der Universität Nijmegen, nahm sich das komplexe Verhältnis von Kunst, Religion und Politik zu Brust. Er versuchte zum einen die drei Großthemen abzugrenzen, landete aber zwangsläufig immer wieder in den Grenzbereichen, bei denen die Kunst Funktionen der Religion übernimmt und auch  umgekehrt. Das Verhältnis der Religion zur Politik ist zwar einfacher zu erklären, allerdings nicht unproblematisch. Seit der Aufklärung sorgte die Religion für Moral, so Wils, seit zwei Jahrzehnten weltweit dagegen für politische Schärfe. Die Mischung von Politik und Religion sei auf dem Vormarsch, „die Religion als Privates bröckelt“. Für Wils eine ungute Entwicklung. Er spricht sich klar für die Trennung von Religion und Politik aus.

Den Ausgleich zu dieser Entwicklung sieht Wils in der Kunst. Er bezieht sich auf Leo Tolstoi und Richard Wagner, indem er der Kunst zuschreibt, verloren gegangene Funktionen der Religion zu übernehmen. Die Kunst beginnt für Tolstoi dort, wo die Religion endet, Wagner geht einen Schritt weiter. Aus dessen Sicht rettet die Kunst den Kern der Religion.

Das Verhältnis von Kunst und Religion ist zwar in der Sicht von Wils ein Spannungsverhältnis, aber wenigsten konfliktfrei. Kunst kann auch religiöse Fragen stellen, womöglich auch beantworten. Deshalb beäugten sich Religion und Kunst zwar skeptisch, sie schaden sich wohl aber auch nicht gegenseitig. Ja, sie können sich gegenseitig inspirieren. Kritischer geht Wils mehrfach mit der Religion in ihrer fundamentalistischen Ausprägung ins Gericht. Er bezeichnet sie als eine irritierende Größe. Die Zeiten, in denen Religion per se eine therapierende Kraft ausstrahlte, sind vorbei, diese Vorstellung sei „naiv“. Vor dem Hintergrund wie Religion in Form des Fundamentalismus zunehmend weltweit eine politische Größe wird, sorgt Religion in dieser Ausprägung laut Wils eher für Konflikte, als dass sie Frieden schafft. Wils wünscht sich, dass sich die Religion im Feld der Politik abkühlen möge. De facto plädiert er für die klare Trennung von Politik und Religion.

Der Vortrag von Wils war schwer verdauliche Kost. Thematisch erfüllte er eindeutig den akademischen Anspruch der Hochschule für Kunsttherapie. Umso interessanter war die Diskussion im Anschluss, bei der die mehr „ökonomisch orientierten“ HfWU-Besucher versuchten, für ihre Disziplinen aus dem Vortrag Honig zu saugen. Und das gelang vor allem in Bezug auf die These von Wils, dass die Kunst Religion neu beleben kann. Auch die Wirtschaftswissenschaften ringen gegenwärtig um Neubelebung in zentralen Feldern wie Führung und wie sich Wandel gestalten lässt. HfWU Management-Professor Dr. Friedemann Baisch sieht in der Kunst die Chance, dass sich mit ihrer Hilfe für manche Führungskräfte der Einstieg in neue Wege des Managements öffnen lässt. Experimente in diese Richtung gibt es bereits in den Masterstudiengängen der HfWU. „Der Vortrag und vor allem die Nachgespräche zeigen, dass noch große Möglichkeiten in Nürtingen schlummern“. Ein vielversprechender Beginn für die Zusammenarbeit der beiden Nürtinger Hochschulen und der Ökumenischen Hochschulgemeinde, die bei allen Unterschieden wohl viel voneinander profitieren können.

Nürtingen, den 21.11.2014
Gerhard Schmücker