Es überleben die, die sich anpassen

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Abstands- und Hygieneregeln bestimmen den IfA-Kongress

Porsche Vorstandschef Oliver Blume im Live-Interview

- Branchengipfel des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) -

NÜRTINGEN (hfwu). Und immer wieder Corona: Fast wäre auch der jährliche Kongress des Instituts für Automobilwirtschaft der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) der Pandemie zum Opfer gefallen. Aber auch thematisch schimmerte das Virus bei den 22 Referenten des diesjährigen Branchengipfels durch. Als wäre der Transformationsdruck nicht schon genug, vermasselt Covid 19 so manche Bilanz in der Branche.

Trotz ausgedünnter Präsenz vor Ort und allgegenwärtiger Hygiene- und Abstandsmaßnahmen ließen sich zumindest die geladenen Redner den Optimismus nicht verderben. Und auch die Gäste zeigten Flagge: Nur 160 Teilnehmer konnten am Branchengipfel vor Ort teilnehmen, 600 Gäste hatten sich angemeldet und nahmen in der Mehrzahl über die mobile Tagungsapp am Kongress teil. Einer dieser „Fernseher“ war Professor Dr. Willi Diez, der das IfA-Institut vor genau 25 Jahren gegründet hatte. „Noch am Wochenende hatten wir überlegt abzusagen“, so IfA-Chef Professor Dr. Stefan Reindl, doch letztlich nahmen fast so viele Branchenvertreter mit Online Tickets an dem Video-Stream teil wie im Vorjahr vor Corona. „Transformation“ ist das geflügelte Wort der Automobilbranche. Dem stellt sich auch das Studienangebot der HfWU. Rektor Professor Dr. Andreas Frey betonte in seinem Grußwort, das sich das bisherige Studienangebot Automobilwirtschaft umbenannt und an den Herausforderungen ganzheitlicher Mobilitätskonzepte ausgerichtet habe. 

Nicht nur die Pandemie setzt der Branche zu. „Wir haben ein strukturelles Problem“, so setzte Stefan Reindl gleich zu Beginn den Ton. Trotz steigender Neuzulassungen, sinke seit 2017 die Inlandsproduktion. Märkte seien abgefallen und die Hersteller stünden unter enormen Druck, auch angesichts der CO-2 Problematik. Es brauche ein „Transformations- und Krisenmanagement, um das Unternehmen auf Kurs zu halten“, so Porsche Vorstandschef Oliver Blume. Der Sportwagenbauer hatte zu Beginn der Pandemie tatsächlich Lebensmittelspenden und Freiwilligeneinsätze organsiert, um auf diese Krise zu reagieren. Trotzdem sind die Zuffenhausener der stärkste Hersteller des ersten Halbjahres und konnten sich erfolgreich behaupten. „Marken müssen sich anpassen und starke Marken kommen am besten durch Krisen“, so Blume. Und wenn es um Marke, Emotionalität und Kultfaktor geht kann Porsche allein mit dem Dauerbrenner 911 aus dem Vollen schöpfen. Getragen vom Markenerfolg überwogen bei Blume eindeutig die optimistischen Töne. Die CO-2 Strategie des Unternehmens zielt auf konsequente Elektromobilität, eine Absage an den Diesel und als zweiten Weg das Potential synthetischer Brennstoffe.

Synthetische Kraftstoffe seien derzeit zwar mit rund 10 Euro pro Liter nahezu unbezahlbar, aber für Blume die notwendige Ergänzung zum elektrischen Fahren. Wem es ernst sei mit der Klimawende müsse auch den globalen Bestand an Verbrennern im Auge haben. „Wir müssen von beiden Seiten kommen“ so Blume, der einen Preis von zwei Euro für den Liter synthetischen Benzin in den kommenden 10 Jahren als realistisch einstuft.   

Hinzu kommt: Die nächste Stufe digitaler Technologien und Dienstleistungen. Allein dafür betreibt Porsche an acht Standorten weltweit entsprechende Entwicklungszentren. Das Thema Digitalisierung zog sich ohnehin wie ein roter Faden durch den Tag: In verschiedenen Diskussionsformaten war deutlich, die Digitalisierung bestimmt die Zukunft. Gleichgültig ob bei der Herstellung, den Technologien oder in den kaufmännischen Bereichen und Geschäftsmodellen.

Ein klares Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen und ein ebensolches zu digitalen Technologien lieferte später am Tag Daimler Vorstandschef Ola Källenius. Er startete seine Präsentation mit einem dicken Lob für Hochschule und Stadt: „Nürtingen hat einen festen Platz auf der automobilen Weltkarte“. Källenius nutzte seinen dritten Auftritt bei dem IfA-Branchengipfel, um zum einen das Ende fossiler Brennstoffe zu proklamieren, zum anderen dafür die entsprechende Infrastruktur zu fordern. Das ist unter anderem auch eine Aufgabe an die Politik. Ministerpräsident Winfried Kretschmann entzieht sich dem nicht, und sieht die Rolle der Hersteller darin, aktiver die Zukunftsthemen der Mobilität anzugehen. „Die Vernetzung verschiedener Mobilitätskonzepte ist entscheidend“, so der Ministerpräsident per Video. Er zollte der Industrie Anerkennung dafür, aus Fehlern gelernt zu haben. Ansonsten solle man damit aufhören, auf die Hersteller „draufzubatschen“. Daimler Chef Källenius nimmt die geforderte aktive Rolle für sein Unternehmen in Anspruch. Eine CO-2 neutrale Produktion sieht er in der neuen Sindelfinger Fabrik verwirklicht und Daimler insgesamt als Treiber einer nachhaltigen Entwicklung: Der Schlüssel auch hier: Die Digitalisierung. Er beschreibt Daimler auf dem Weg von einer „Hardware zur Software Company“. In den Produkten und beim Geschäftsmodell. Der Vertreib stehe vor nicht weniger als einer Revolution. Und die kommenden Autos der Marke würden sich durch „Downloads“ und „Apps“ künftig ein Stück weit selbst erneuern: „Das Auto bleibt frisch“.  Angesprochen auf die neue Strategie zu mehr Luxus des Herstellers antwortet Källenius selbstbewusst: „Wir wollen Luxus für die Zukunft definieren. Wir meinen damit High Tech, Eleganz, Stil und Nachhaltigkeit“. Auch Kompaktwagen würden in diesem Ansatz ihren Platz haben.

Trotz Pandemie und anderen Krisen blickt der Daimler Chef optimistisch in die Zukunft: Viele Märkte seien unter ruck, aber das Asiengeschäft wachse bereits wieder zweistellig. Es werde besser, aber das Hauptthema bleibe die digitale Transformation. Der widmete sich später am Tag auch Marcus Lott, Entwicklungschef bei Opel. Auch bei Opel führt der Weg in die Zukunft über „weniger CO-2 und weniger Komplexität“.       

 

Nürtingen, den 16.10.2020
Gerhard Schmücker