Erste Hilfe erster Klasse

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Prof. Dr. Isabel Acker mit Lea Rabl (vorne), Nils Wöschler und Jan Ole Thomas (hinten), drei von ihren Lebensrettern.

- Studierende der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen retten mit Reanimation Professorin bei Herzstillstand das Leben; Rückblick auf eine perfekte Rettungsaktion -

NÜRTINGEN (hfwu). Eine Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen bricht mitten in der Vorlesung mit Herzversagen zusammen. Statistisch liegt ihre Überlebenschance bei fünf Prozent. Dass sie heute wieder unterrichtet verdankt sie der tatkräftigen Hilfe von fünf Studierenden und dem besonnenen Verhalten des ganzen Kurses.

Acht Minuten. So lange dauert es bis die Notärztin vor Ort ist. Mitten in der Mathe-Vorlesung ist Isabel Acker mit Herzkammerflimmern vor den Studierenden zusammengesackt. Die Pumpleistung des Herzens der Professorin ist bei null. Kreislaufstillstand. Was dann passiert gleicht einer Erste-Hilfe-Rettung aus dem Lehrbuch. Fünf Studierende sind es, in deren Händen das Leben der 41-Jährigen in den folgenden Minuten liegt.

Jan Ole Thomas wählt ohne zu zögern den Notruf. Er gibt die Instruktionen an Nils Wöschler und Kosta Senic weiter. Sie beginnen mit einer Herzdruckmassage. Lea Rabl übernimmt die Mund-zu-Mund-Beatmung. Samed Bilici sorgt inzwischen dafür, dass der alarmierte Notarzt auf dem schnellst möglichen Weg in den Vorlesungssaal kommt.

„Dass es sehr ernst ist, das war schnell klar. Ich habe nicht lange nachgedacht zu helfen, es war eher eine Instinkthandlung“, erinnert sich Wöschler. Alle hätten sich ruhig und besonnen verhalten. Niemand konnte den Saal verlassen, da die Patientin an der Türschwelle lag. „Im Prinzip waren es alle in der Vorlesung, die mit dazu beigetragen haben“, sagt auch Lea Rabl. Die, die dann tatkräftig geholfen haben, seien einfach zum richtigen Augenblick an der richtigen Stelle gewesen. „Vielleicht haben wir schneller eine erste Hemmschwelle überwunden.“ Vor allem schnell tätig zu werden kann lebensrettend sein. Acht Minuten nichts zu tun, hätte für Isabel Acker vermutlich den Tod bedeutet. Nach drei Minuten kommt es zu irreversiblen Schäden im Gehirn. Mit jeder Minute in der nichts unternommen wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit zu überleben um zehn Prozent.

Mit dem DRK-Rettungswagen treffen zuerst die Rettungssanitäter ein. Sie übernehmen die Reanimation von den Studierenden. Die Patientin ist in einem relativ stabilen Zustand.

„Die Vorreanimation war sehr effektiv“, so die Einschätzung von Michael Leber, „das konnten wir daraus schließen, wie wir die Patientin vorfanden und dies belegte später auch der neurologische Befund“, so der Notfallsanitäter und Fahrer des Rettungswagens. Er lobt, wie gut die Ersthelfer die Instruktionen bei der sogenannten Telefon-Reanimation umgesetzt hatten.

Kurz nach den Notfallsanitätern ist Dr. Renate Aubele vor Ort. Die Notärztin stellt bei der Professorin einen funktionellen Herzstillstand fest.

„Dass jemand überlebt, dazu tragen viele Faktoren bei, das macht nicht einer allein“, so die Medizinerin im Rückblick auf den Einsatz an der Hochschule. Der unverzügliche Notruf, ein relativ kurzer Anfahrtsweg, am Einsatzort schnell zum Patienten geleitet zu werden, die Erste Hilfe – jedes Glied in der Rettungskette ist entscheidend. Der Einsatz bei Isabel Acker, sagt Aubele, „ist ein Paradebeispiel, so sollte es laufen“.

Die Notärztin setzt mehrmals einen Defibrillator ein und spritzt hochdosiertes Magnesium. Bei der Einlieferung ins Krankenhaus zeigen Blutdruck und Sauerstoffversorgung Normalwerte. Die Patientin ist wieder zurück im Leben.

Wacher Geist, eloquent, frischer Gesichtsausdruck, voller Elan und Tatkraft, so sitzt Isabel Acker ihrem Gesprächspartner gegenüber. Alles scheint wie vor ihrem „zweiten Geburtstag“ genau vor einem Jahr zu sein. „Mein Herz braucht ab und an eine Ohrfeige, damit es wieder anspringt“, sagt sie und lacht. Die Ohrfeige verpasst ihr heute im Notfall ein implantierter handtellergroßer Defibrillator und Herzschrittmacher. Acker erweckt den Eindruck, sie ist nicht Wirtschafts- sondern Medizinprofessorin, wenn sie so anschaulich wie detailreich ihr „malignes Mitralklappenprolaps-Syndrom“ erklärt. Die vereinfachte Kurzform: Die Mitralklappe, eine der vier Ventile des Herzens, die den Blutzufluss ins Innere der Pumpe regeln, kommt manchmal lebensgefährdend aus dem Takt. Die Diagnose des Deutschen Herzzentrums in München hat die Hochschullehrerin erst seit kurzem. Im Deutschen Herzzentrum war zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nur eine weitere Patientin mit diesem Herzklappenfehler bekannt. Seit ihrer Kindheit hatten ihr die Ärzte erzählt, sie leide an einer angeborenen und sehr häufigen aber unbedenklichen Funktionseinschränkung der Mitralklappe. Mit dem Wachstum in der Pubertät häuften sich die Beschwerden. Wie bedrohlich die Erkrankung sein kann war nicht klar – bis zu dem Vorfall während der Vorlesung.

Nach dem Krankenhausaufenthalt und der Reha geht es der Wirtschaftswissenschaftlerin wieder gut, aber sie spürt, es hat sich etwas verändert. Nun geht es darum, eine neue Balance zu finden zwischen einem aktiven Berufsleben und dem, was sie ihrem Herzen zumuten kann. Den Arbeitsumfang an der Hochschule hat sie verringert, zusätzliche Engagements, wie etwa das der Gleichstellungsbeauftragten, zurückgefahren. „Ich bin ein positiv denkender Mensch“, sagt sie. Und dennoch, die Angst schwingt immer mit. „Es ist ein bisschen wie am Abgrund zu tanzen. Aber zu allererst bin ich dankbar, trotz der Erkrankung auf einem solch guten Niveau weiterleben zu können“. Dazu haben auch fünf Studierende und ein ganzer Semesterkurs beigetragen und in den entscheidenden acht Minuten das Richtige getan.

Udo Renner, 28.1.2019