Erfahrung der Natur oder Teufelszeug?

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HfWU-Professor Dr. Andreas Schier blickte auf die lange Tradition der Pflanzenzüchtung zurück. (Foto: HfWU/renner).

Kontrovers im Diskurs: Prof. Dr. Holger Puchta, Dr. Christian Eichert und Gerd Spelsberg (v.l.n.r.) (Foto: HfWUrenner)

- Experten diskutierten an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen über neuer Gentechnologie CRISPR -

NÜRTINGEN. (hfwu) Mit CRISPR gibt es eine neue Methode, um DNA-Bausteine im Erbgut zu verändern. Biologen sprechen von einem neuen Zeitalter in der Gentechnologie. Denn das Verfahren ist so einfach und präzise wie es vor kurzem kaum vorstellbar war. Was dies für die Pflanzenzüchtung bedeutet, damit befasste sich eine Tagung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen.

Zwei Gerstenpflanzen. Sie sind genetisch völlig identisch. Die eine hat einen kurzen Halm, ein Vorteil beim landwirtschaftlichen Anbau. Die andere auch. Sie aber hat diese Eigenschaft nicht aufgrund einer natürlichen Mutation. Bei ihr kam CRISPR zum Einsatz. Ist die CRISPR-Pflanze als gentechnisch verändert zu betrachten oder wie eine natürliche Variation? Um diese Kernfrage geht es bei der Diskussion um das revolutionäre Verfahren, das in fast allen lebenden Organismen angewendet werden kann.

„Im besten Fall geht es um diese Frage“, sagt der Kommunikationsexperte Gerd Spelsberg, einer der Referenten auf der Tagung, die das Nürtinger Nachwuchsteam der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) organisiert hatte. Denn, so Spelsbergs zugespitztes Fazit mit Blick auf die gesellschaftliche Wahrnehmung des Genome Editing: „Keiner kennt es, aber alle sind dagegen“. Der Projektleiter bei der Internetplattform transgen sieht ein Problem darin, dass um CRISPR keine sachorientierte Diskussion geführt werde. Vielmehr würden hier festgefügte Wertekonflikte ausgetragen. Gentechnik werde oftmals per se mit Attributen wie unsicher, fremdbestimmt und profitorientiert versehen. Dem gegenüber stehe in diesem Weltbild „die Natur“. Sie wird als gut, sicher und menschlich empfunden.

Dass CRISPR in einer Jahrtausende alten Tradition der Gentechnik Pflanzenzüchtung steht, dies zeigte HfWU-Professor Dr. Andreas Schier in seinem einführenden Vortrag. Ein gerütteltes Maß der von Spelsberg geforderten Versachlichung trugt der Molekularbiologe Professor Dr. Holger Puchta vom KIT in Karlsruhe bei. Er erklärte, wie die Genschere auf molekularer Ebene funktioniert. Dies führte die Nichtexperten im Publikum mitunter an den Rand der „intellektuellen Überforderung“, wie Puchta selbst vorab warnte.

Die Methode haben sich beiden CRISPR-Entdeckerinnen von Bakterien abgeschaut. Nach jedem überstandenen Virenangriff schreibt ein Bakterium eine Art Steckbrief des Virus in die eigene DNA. Damit ist bei der nächsten Attacke ein maßgeschneiderter Gegenangriff möglich. Am Werk ist dabei das zelleigene Reparatursystem, das durchtrennte DNA-Stränge wieder zusammengefügt. Den Wissenschaftlerinnen gelang es, dieses sehr präzise arbeitende molekulargenetische Werkzeug nachzubauen. Damit sind punktgenaue Mutationen möglich. Zum Beispiel genau an der Stelle im Genom, die den kurzen Gerstenhalm bewirkt. Allerdings setzt dies voraus, dass man weiß, wo eben diese Stelle ist. Oft sind es zudem mehrere Gene, die zusammen eine bestimmte Eigenschaft hervorbringen. Gerade bei der Frage, wie es viele einzelne Gene bewerkstelligen, zusammen im Konzert den Ton zu machen, gibt es noch großen Forschungsbedarf.

„Im Grunde ist CRISPR nichts Neues“, betonte Puchta, „das gibt es schon seit Jahrzehnten, nur schlechter und viel aufwändiger“. Trotzdem: „Das ist ein Thema, das alle Biologen elektrisiert“, ist sich der Wissenschaftler sicher. „Wir können die gesamte Erfahrung der Natur nutzen und so landwirtschaftlich optimale Pflanzen gewinnen“. So euphorisch wie Puchta sind nicht alle. Dr. Christian Eichert, Geschäftsführer von Bioland Baden-Württemberg und Sprecher des Aktionsbündnis‘ gentechnikfreie Landwirtschaft, kritisierte, die Folgen von CRISPR seien nicht hinreichend untersucht. Er lehnt jeden „Eingriff in die Integrität der Zelle“ ab. Befürworter halten dem entgegen, gerade weil es so exakt sei, schaffe das neue Genome Editing mehr Sicherheit bei der Züchtung. Dies unterscheide CRISPR auch von der herkömmlichen Gentechnik. Zudem werde es immer wichtiger, sich mit neuen Sorten schnell den klimatischen Veränderungen anpassen und sich gegen neue Schädlinge und Krankheitserreger wappnen zu können.

Das Fazit der Tagung mit dem Untertitel „Techniksegen oder Büchse der Pandora?“: Weder noch. Die CRISPR-Methode hat großes Potenzial. Man kann mit ihr aber nicht alles machen und sie ersetzt auch nicht andere Züchtungsverfahren. Viel hängt nun davon ab, welche Antwort der Europäische Gerichtshof auf die CRISPR-Gretchen-Frage gibt: Gentechnik oder quasi natürliche Mutation? Der Richterspruch soll im kommenden Frühjahr fallen.

Udo Renner, 11.12.2017