Autoindustrie: Mitten in der Zeitenwende

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Foto: (üke/HfWU) Der IFA-Kongress an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen ist Jahr für Jahr der Branchentreff der Automobilwirtschaft.

Foto: (üke/HfWU) Professor Dr. Willi Diez im Gespräch mit Daimler Vorstand Ole Källenius.

Foto: (üke/HfWU) Ein Stelldichein der Autohersteller beim IFA-Kongress in Nürtingen

- Autokongress an der HfWU – Institut für Automobilwirtschaft-

NÜRTINGEN (hfwu). Globalisierung, Digitalisierung und neue Mobilitätsformen: Die Automobilindustrie durchläuft spannende Zeiten, die die Unternehmen und deren Geschäftsmodelle verändern. Das Gute daran: die Geschäfte laufen. Professor Dr. Willi Diez, der Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA), verkündete während des IFA-Kongresses an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) stabile Verkaufszahlen.  

„Es geht der Branche gut“, so Diez, „trotz aller Unkenrufe“. Rund 500 Gäste aus der Automobilbranche besuchten den jährlichen IFA-Kongress des Hochschulinstituts in Nürtingen. Diez präsentierte neue Zahlen, nach denen allein in China der Fahrzeugverkauf  trotz der Meldungen über einen nachlassenden Markt um rund 18% gestiegen sei. Für Deutschland prognostiziert Diez bis Jahresende 3,3 Millionen verkaufter Autos, für das Jahr 2017 rechnet der IFA-Direktor mit ähnlichen Zahlen. Die Branche kann sich demnach aus einer gefestigten Position um die Herausforderungen der Zukunft kümmern: Peter van Binsbergen, der Deutschland Vertriebschef von BMW sieht auf die Hersteller in den nächsten zehn Jahren mehr Veränderungen zukommen, als während des letzten Jahrhunderts.  

Daimlervorstand Ola Källenius beschreibt die Konsequenzen damit, dass sein Unternehmen „mitten drin in einer Produktoffensive“ sei. Die Fahrzeuge der „neuen Mobilität“, die der Kongress im Titel führte, sind elektrisch, vernetzt und fahren autonom. Keiner der Referenten lies daran einen Zweifel. Auch Dr. Thomas Sedran, Konzernstratege der Volkswagen AG beschrieb ein Palette an digitalen Dienstleistungen seines Herstellers, was Diez zu der Frage veranlasste, ob denn VW nur noch an der Software oder auch an der Hardware, den Fahrzeugen verdienen wolle. Sedran sieht die Zukunft der Marke neben den E-Fahrzeugen nach wie vor auch in optimierten Verbrennungsmotoren, bei sinkender Bedeutung der Dieseltechnologie. Trotzdem, auch den Golf der achten Generation werde es als Diesel geben, so Sedran auf Nachfrage.   Hauptredner Ole Källenius sieht sein Unternehmen „mitten drin im Wandel“. Den enormen Veränderungen mit einer wachsenden Geschwindigkeit, vor allem durch die Digitalisierung, passt sich der Daimler Konzern an und nutzt diese auch auf dem Weg, die Marke Mercedes zur Nummer eins im Premiumsegment zu machen. Der Vertrieb der Marke setzt zwar nach wie vor auf den persönlichen Kundenkontakt, nutzt aber gleichzeitig vollkommen digitalisierte Instrumente. In der mobilen Anwendung „Mercedes me“ werden alle Angebote der Marke rund um das Fahrzeug gebündelt: Veranstaltungen, Finanzierungen, selbst ein Concierge Dienst. Auch BMW-Manager van Binsbergen beschreibt die BMW Connected onboard Funktionen: „Gibt es einen Stau, meldet dies das Fahrzeug an das Smartphone des Besitzers, der dann durch das Telefon früher geweckt wird“. Gleichgültig ob Mercedes, BMW oder Volkswagen: Die Hersteller widmen sich alle Mobilitätsdienstleistungen, die weit über das Geschäft eines reinen Herstellers hinausgehen.  

„Sharing mobility“, „ride hailing“ lauten die Schlagwörter für neue Formen der Mobilität, bei denen die Frage des Besitzes eines Fahrzeuges in den Hintergrund rückt. Stattdessen geht es um Teilen, um Mitbenutzen und andere Formen der mobilen Teilhabe. Die Hersteller bieten dafür eigene digitale Lösungen an oder streben nach Partnerschaften mit anderen Dienstleistern. Einer davon ist Uber. Christoph Weigler, der Deutschland Geschäftsführer des kalifornischen Start up, kann sich vorstellen, eine solche Zusammenarbeit einzugehen. Der Beginn des Uber-Erfolgs lag in einer simplen Smartphone App. Diese Anwendung ist bis heute der Kern des Geschäfts. Es verwundert wenig, dass das softwaregetriebene Unternehmen auch in der Forschung für Software für autonomes Fahren weit vorne mitmischt. An eigener Fahrzeugentwicklung oder Fahrzeugflotten hat das Unternehmen laut Weigler wenig Interesse. Uber ist ein reiner Dienstleister, der die urbane Mobilität umkrempeln will. „In Städten sind Autos zu 96% der Zeit geparkt“. Aus dieser Zahl definiert Uber den Anspruch, die Ressource Auto effektiv zu nutzen. Das Modell dabei: Teilen, mitfahren, mitnutzen als Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr. „Ein Drittel der Uber Fahrten in London gehen zur nächsten U-Bahn Station“, so Weigler. Und bis ins Jahr 2030 sieht Weigel ein Viertel des urbanen Verkehrs durch „sharing“-Angebote abgedeckt.  

Allein das Beispiel Mercedes zeigt, dass die deutschen Hersteller diese Entwicklungen, auch andere Nutzungsformen der Mobilität, aktiv nutzen und daraus neue Geschäftsmodelle für die Zukunft entwickeln, neben den entsprechenden Technologien und Fahrzeugen. Gleichzeitig werden sich, so Ole Källenius, auch die Unternehmen selbst ändern müssen, mit einer neuen Firmenkultur. Der Nachwuchs soll davon profitieren: „Es wird bei dem Weg des Wandels nicht weniger Arbeitsplätze geben. Es werden händeringend Experten gesucht“, so Dr. Diez. Die automobilwirtschaftlichen HfWU-Studiengänge spiegeln dies: „Auf 60 Studienplätze haben sich 800 Interessenten beworben“, so der Rektor der Hochschule, Professor Dr. Andreas Frey, in seinem Grußwort.

Gerhard Schmücker Nürtingen, 23.11.2016