Atmende Lebensläufe in einer Vier-Tage-Woche

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Personen sitzend im Halbkreis

Im Austausch auf dem Podium des "HfWU Zukunftsforums" (v.l.): Prof. Dr. Barbara Kreis-Engelhardt, Michael Wulf, Dr. Karin Jurczyk, Timo Gökeler und Prof. Dr. Klaus Gourgé. (Foto: HfWU/A. Harzer)

"HfWU Zukunftsforum“ in Geislingen (Steige) zum Thema Zeit

GEISLINGEN (hfwu). Was bedeutet für uns Zeit, wie gehen wir mit ihr um, als Einzelne, in der Arbeitswelt und als Gesellschaft? Diese Frage stand im Mittelpunkt beim „Zukunftsforum“ der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen (Steige).

Zeit ist Geld. So das geflügelte Wort. Doch Zeit ist sehr viel mehr. Das machte der gleichlautende Titel des „HfWU Zukunftsforums“ deutlich. „Zeit ist ein sehr vielschichtiges Konstrukt, das Empfindungen, Arbeit und gesellschaftliche Strukturen prägt“, so die Mitorganisatorin des Forums, HfWU-Professorin Dr. Barbara Kreis-Engelhardt. Zu der öffentlichen Veranstaltung am Standort der Hochschule in Geislingen (Steige) und live online zugeschaltet kamen weit mehr als hundert Teilnehmende.

In der ersten Impulsrede schlug der Psychologe und Coach Michael Wulf einen weiten Bogen vom individuellen Empfinden der Zeit bis zur Frage, wie die Menschen Zeit kreativ gestalten können – etwa in dem sie lernbegierig bleiben und „immer mal wieder hinter den Vorhang schauen“. Wulf unterstrich zudem, was auch die nachfolgenden Rednerinnen und Redner betonten: Nicht allein wie viel Zeit man etwa mit Arbeit verbringt ist maßgeblich, es kommt genauso auf die Qualität der Arbeit an.  

Eben das ist eins der Prinzipien, die Timo Gökeler leiten. Der Geschäftsführer der Gökeler Messtechnik GmbH in Lenningen sieht die Vier-Tage-Woche, die er in seinem Betrieb schon vor Jahren eingeführt hat, als Wachstumschance. „Wir gehören global zu den führenden Unternehmen in unserem Bereich“, berichtete Gökeler. Möglich macht das die hohe Qualität der 34 Arbeitsstunden pro Woche. In der Praxis wird die unter anderem erzielt mit einer effizienten Kommunikation und Meeting-Kultur, mit optimierten Abläufen auch in kleinen, scheinbar unwesentlichen Bereichen, Home Office nur bei Bedarf und einer seit langem vorangetriebenen Digitalisierung und Automation. Mittlerweile gebe es in der Firma eine Art Vier-Tage-DNA. Die Mitarbeitenden hätte die Prinzipien verinnerlicht und machten regelmäßig selbst Vorschläge, wie Prozesse verbessert werden können, so Gökeler. Dennoch ist dem Firmenchef wichtig zu betonen: „Das ist kein Modell für alle. Die herkömmlichen, traditionellen Modelle haben nach wie vor ihre Berechtigung.“ Wichtig sei, hier von einem Schwarz-Weiß-Denken wegzukommen. Für jeden Betrieb und in jeder Branche seien die Rahmenbedingung andere.

Nach der individuellen und der unternehmerischen Perspektive warf Dr. Karin Jurczyk einen soziologischen Blick auf den Umgang und die Strukturierung von Zeit. Jurczyk ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. Diese befasst sich mit „der Einflussnahme auf zeitliche Bedingungen des Alltags und Lebenslaufs von Menschen in Qualität und Quantität in den Feldern Umwelt, Arbeitszeiten, Sorgezeiten oder Zeiten der Stadt“, erläuterte die Soziologin und Buchautorin. Nach einer langen Phase des wachsenden materiellen Wohlstands gehe es heute um Zeitwohlstand. Eine vorrangige Aufgabe sei, diesen auf der Basis von Gerechtigkeit und Selbstbestimmung gesellschaftlich zu organisieren. Es brauche, so der Appell von Jurczyk, ein „Recht auf Zeit: Zeit zum Leben, Teilhabe am Leben und Arbeiten“. Als Weg in die Zeitwohlstandsgesellschaft schlug sie vor, vom bekannten Drei-Phasenmodell (Ausbildung-Beruf/Familie-Ruhestand) abzukehren. In einem Modell der „atmenden Lebensläufe“ würden sich die verschiedenen Phasen abwechseln, wären kürzer, flexibler und häufiger. „Wir brauchen einen anderen Umgang mit Zeit, jenseits einer Zeit- und Kostenökonomie, und dafür innovative Konzepte“, so das Fazit der Soziologin.

Nach den drei Impulsvorträgen hatten die Teilnehmenden vor Ort Gelegenheit, sich in verschiedenen Gruppen, im Format eines World Cafés, auszutauschen und zu diskutieren.