Mein persönliches Erlebnis in der Natur

Die Natur fasziniert mich, seitdem ich denken kann. Wenn man in einem kleinen Dorf aufgewachsen ist, so wie ich es bin, hatte man als Kind gar keine andere Wahl und verbrachte den Großteil seiner Freizeit draußen im Freien. Für mich war das nie weiter schlimm, ich wollte nichts lieber als mich in der Natur auszutoben. Es gab immer etwas zu entdecken oder zu beobachten. Bis heute übt die Natur mit ihren verschiedenen Landschaften einen beruhigenden und inspirierenden Effekt auf mich aus. Am wohlsten fühle ich mich in der Nähe von so ziemlich jeder Art von Gewässer, wie es sich schließlich für einen Hobbyangler gehört. Aus genau diesen Gründen zogen wir auch im Juli 2013 los.

Ich war gerade aus meinem Italienurlaub nach Hause gekommen und hatte noch ein paar freie Tage, um mich mental wieder auf den Alltag einzustimmen. Das Wetter war fantastisch. Die Sonne strahlte am Himmel und keine Wolke war zu sehen. Markus, ein guter Freund von mir, und ich waren uns darüber einig, dass der einzige Ort, um einen solchen Tag optimal auskosten zu können, der wenige Kilometer entferne Baggersee sei. Also machten wir uns gleich nach dem Frühstück ans Werk und überlegten gemeinsam, was noch alles für unseren Ausflug zu besorgen war. Wir verstauten etwas Proviant, unsere Badesachen und leichtes Angelgerät auf unseren Fahrrädern und radelten los zum See.

Allein die Fahrt mit dem angenehmen Fahrtwind im Gesicht, die Sonne im Rücken und dem vielversprechenden Ziel vor Augen war ein Genuss. Am See angekommen, machten wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Plätzchen am Wasser. Erstaunlicherweise waren weniger Leute unterwegs, als wir vermutet hatten. Wahrscheinlich war es den meisten Naturliebhabern heute einfach zu heiß. Langfristig hielt man es sowieso nur im Schatten aus. Ich konnte kaum glauben, als ich sah, dass meine Lieblingsstelle am See noch nicht besetzt war. Ich ging geradewegs auf sie zu, um mich mit all meinem Hab und Gut dort auszubreiten. Ein richtig gemütliches Plätzchen war das. Der Untergrund war fest, aber nicht zu hart zum Liegen, das Ufer beinahe frei von Vegetation und deshalb gut begehbar, das Wasser tief und sehr klar.

Hier hatte ich schon unzählige, tolle Momente erlebt, an die ich mich immer wieder gerne zurück erinnere. Während ich die Haken beköderte und die zwei Angelruten einsatzbereit machte, kümmerte sich Markus um das Aufblasen der Luftmatratzen. Fast gleichzeitig beendete ein jeder von uns seine Aufgabe und unsere gemeinsame Auszeit konnte beginnen. Zuerst saßen wir unmittelbar am Seeufer und ließen unsere Füße ist Wasser hängen. Jedoch brannte die Sonne so erbarmungslos auf uns herab, dass es nur eine Frage von kurzer Zeit war, bis wir beinahe vollständig im See lagen. Doch selbst im kühlen Nass machten einem die Sonnenstrahlen bald so sehr zu schaffen, dass wir den Schatten unter einem nahe gelegenen Busch aufsuchen mussten. Das Wetter spiegelte sich in der Beißlaune der Fische wieder. Der See lag äußerst ruhig vor uns und wenn nicht hier und da eine leicht durchschimmernde Silhouette der sich sonnenden Fische zu beobachten gewesen wäre, hätte ich mich bald zu der Behauptung hinreißen lassen, dass der See höchstwahrscheinlich über gar keinen Fischbesatz verfügt. Doch schließlich wusste ich es ja besser und selbst die schlechten Aussichten auf einen Fangerfolg hielten mich keineswegs davon ab, das Geschehen in vollen Zügen zu genießen.

So ist das nun mal mit der Angelei, solche Schneidertage gehören einfach dazu. Dennoch tat das der Stimmung keinen Abbruch. Wir plauderten über alte Geschichten und verköstigten uns aus unserem Proviant. Schlagartig und wie aus dem Nichts machte sich eine frische Brise bemerkbar und eine dunkle Wetterfront zog auf. „Ich hab es gewusst“, hörte ich Markus schimpfen. „Es war so klar, dass dieses Wetter nicht anhalten wird.“ Rasch überlegten wir, was im Falle eines Gewitters zu tun war. „Wenn es erst einmal anfängt zu regnen, werden wir sehr wahrscheinlich nass, selbst wenn wir gleich aufbrechen würden“, war das einzige, was mir spontan dazu einfiel. Bis zur nächsten Ortschaft war man mit dem Rad rund 15 Minuten unterwegs und die offene Landschaft konnte uns kaum Schutz vor dem Unwetter bieten. Hecken und Gebüsche gab es zur Genüge, doch weit und breit kein Baum, der ausgeprägt genug war, um uns Unterschlupf zu gewähren. Auch wenn mit einem Wetterumschwung zu rechnen war, hatte keiner von uns irgendetwas zum Schutz vor Regen oder Ähnlichem eingepackt. So standen wir nun ratlos mit all unseren Sachen da. Voller Optimismus redeten wir uns ein, dass womöglich die dicken energiegeladenen Wolken einfach über uns hinweg ziehen könnten, um woanders aufzubrechen. „Und wenn wir nun doch ein bisschen nass werden, ist das ja nicht weiter schlimm. Wir sind ja schließlich nicht aus Zucker, unsere Wertsachen können wir sicher im Gepäck unterbringen und außerdem ist das die Abkühlung auf die wir ohnehin schon den ganzen Tag gewartet haben“, redeten wir uns gegenseitig gut zu. Wir hatten ja keine Ahnung, was kommen würde.

Die Wolken zogen nicht an uns vorbei. Kaum kam die frische Brise so richtig in Fahrt, begann es erst in kleinen Tropfen zu nieseln, was sich aber schnell zu einem heftigen Schauer entwickelte. Das Gewitter flog uns nur so um die Ohren. Wir jauchzten und sprangen teils euphorisiert, teils überfordert und ratlos im Viereck auf und ab. In diesem Augenblick dachte ich noch, dass wir bereits inmitten des Unwetters stünden und es bestimmt jeden Moment genauso schnell wieder zu Ende sein könne, wie es begonnen hatte. Doch es kam anders: Der Himmel wurde noch dunkler und das laute Krachen und brachiale Grollen des Donners schüchterte uns zunehmend ein. Für den Bruchteil einer Sekunde hielt das Wetter inne und noch bevor dies wahrgenommen werden konnten, prasselten die ersten Hagelkörner auf uns nieder. Bei dem Anblick der walnussgroßen Eisgeschosse, wie sie auf die Erdoberfläche einschlugen und anschließend am Boden umher hüpften, verkroch ich mich instinktiv unter meiner Luftmatratze. Markus tat es mir gleich und schlüpfte unter seine. Obwohl wir keine drei Meter voneinander entfernt lagen, schrie ich laut zu ihm hinüber: „Bist du okay?“ Er rief „Ja“ und wir lachten laut los. Doch abgesehen davon, dass wir im Nirgendwo am Boden lagen und der letzte panische Versuch sich irgendwie der zerstörerischen Naturgewalt zu entziehen gelungen war, gab es kaum Grund für Gelächter. Heute glaube ich, das Lachen war eine Art Reflex, den wir in dieser Extremsituation gebraucht haben, um uns zu beruhigen und um den Puls wieder etwas zu senken. So harrten wir am Boden liegend aus, bis alles vorüber war, erst dann krochen wir wieder aus unserem Versteck hervor. Überall um uns herum lagen Eisreste, zerfetzte Pflanzenteile und Äste. Das totale Chaos.

Wir waren heil froh alles unversehrt überstanden zu haben und machten uns auf den Heimweg. Die verheerenden Folgen und der Umfang des Hagelsturms wurden uns erst richtig bewusst, als wir aus nächster Nähe sahen, was alles zerstört wurde: Was nicht fest am Boden verankert war, lag wild in der Gegend verteilt, die in der Nähe stehenden Autos waren mit tiefen Beulen übersät und die Häuser sahen aus wie nach einem Kugelhagel im Kriegsgebiet. Obwohl unser gemütliches Vorhaben in der Natur abrupt ein Ende gefunden hatte und wir uns im letzten Moment noch schlimmeren Auswirkungen dieser Naturkatastrophe entziehen konnten, hat mich dieser Tag dennoch fasziniert. Ich denke, die Natur hält mich immer noch in ihrem Bann und Ich erinnere mich immer wieder gerne an mein ganz persönliches Erlebnis in der Natur.

 

Matthias Reitze