Warten auf die „Heuschrecken“

Veröffentlicht am


Hochschule / 30. Tag der Immobilie füllt Jahnhalle
Der 30. Tag der Immobilie des Studiengangs Immobilienwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Geislingen (HfWU) zieht die Experten der Branche an. Der Titel „Wohnungsprivatisierung in Deutschland – Chance oder Risiko?“ lockte 400 Teilnehmer, unter ihnen rund 150 Studierende.

GEISLINGEN (ab) Bezüglich des Anteils der privaten Wohnimmobilien ist Deutschland ein Entwicklungsland. Nur 43 Prozent der 40 Millionen Wohnungen werden nach Aussagen von Professor Dr. Thomas Kinateder von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) unmittelbar von den Eigentümern bewohnt. Klar, dass damit der größte europäische Wohnungsmarkt ein gefundenes Fressen für so genannte „Heuschrecken“ darstellt. Die „Heuschreckendebatte“, die vom SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering im vergangenen Jahr angestoßen wurde, hat die Immobilienbranche längst erreicht. Ausländische Investoren, die am schnellen wirtschaftlichen Erfolg orientiert sind und sich wenig um die Folgen ihres Handelns scheren, investieren bereits. Studien gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2010 ein bis drei Millionen Wohnungen von ausländischen Investoren aufgekauft werden. Die Tagung der HfWU erörterte Chancen und Risiken dieses Szenarios. In der Branche ist Bewegung.
Germano Tullio von der BulwienGesa AG Berlin bemängelt die immer dürftiger werdende Markttransparenz im Wohnungsmarkt. Als Marktforscher sieht er seine Hauptaufgabe darin, die teilweise bewusst gestreuten Falschmeldungen zu filtern, um zu ordentlichen Analyseergebnissen zu kommen. Auf dem Markt der so genannten Paketverkäufe ist festzustellen, dass in Deutschland die Wohnungspakete kleiner werden. Problemfelder hierbei seien häufig die sozialen Strukturen der Mieter sowie die Grundrisse der Wohnungen. Dennoch sieht der Analyst noch einen kleinen Spielraum nach oben für die Preise der Wohnimmobilien.
Wenn aber soziale Spannungsfelder in Wohnquartieren zur Unverkäuflichkeit von Wohnungen führten, befürchtet er durchaus Verhältnisse wie vor einigen Monaten in den Vororten französischer Großstädte. Das Beispiel der Wohnbau Dresden, die ihren gesamten Wohnungsbestand an einen Investor verkauft hat, sieht er kritisch, da dieser Totalausverkauf die Manövriermasse schwinden lässt, um an sozialen Brennpunkten städtebaulich aktiv zu werden.
Dr. Franz Georg Rips, Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes, stellt in der Immobilienbranche mit der von Franz Müntefering angestoßenen „Heuschrecken-Diskussion“ einen Paradigmenwechsel fest. Er sieht einen Wandel vom Immobilienhalter zum Immobilienhändler. Gleichzeitig fragt er sich, ob die Konzentration von Wohnungen bei Mammut-Unternehmen für den Markt hilfreich sein kann? In deutschen Städten herrsche gegenwärtig eine gesunde, heterogene Bevölkerungsmischung, die er beim Einfall der „Heuschrecken“ in Gefahr sieht. Für ihn steht insbesondere bei der Frage nach der Sozialrendite solcher Investments ein dickes Fragezeichen. Welche sozialen Folgekosten kommen bei künftigen Stadtumbauprozessen auf die Kommunen zu, wenn ihnen der Wohnungsbestand fehle? Umbauprozesse hin zu Barrierefreiheit und Altentauglichkeit seien aber dringend notwendig. Gerade die kommunalen Wohnungsunternehmen sind für Rips deshalb die wichtigen strategischen Faktoren in der künftigen Gestaltung der Städte.
Eine andere, nämlich die Kauf-Verkauf-Strategie verfolgt Marc Leffin mit seinem vor zehn Jahren gegründeten Unternehmen Vivacon. Die in Köln angesiedelte Aktiengesellschaft möchte in diesem Jahr 15 000 Wohnungen verkaufen. Der „Erbbaurecht-Messias“, wie sich Leffin bezeichnet, hat Erfolg damit, Wohnung und Grundstück rechtlich voneinander zu trennen. Dadurch wird die Wohnung günstiger und für die Nutzung des Grundstücks müssen die Käufer einen Erbbauzins bezahlen. Diese Form des Wohnens ist in Deutschland noch relativ jung, in London werden nach Leffins Angaben rund 75 Prozent der Wohnungen derartig finanziert. Das Geschäft brummt. Der Wert des seit kurzem im MDax notierten Unternehmens hat sich seit Juli vergangenen Jahres verdreifacht. Interessante Modelle für die Immobilienwirtschaft hat Leffin nach eigener Aussage noch viele im Kopf, weshalb er seinem Unternehmen auch weiteres Wachstumspotenzial einräumt.
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion, die noch um den Geschäftsführer der Vereinigten Gmünder Wohnungsbaugesellschaft, Burkhard Fichtner, und Dagmar Reiß-Fechter, Geschäftsführerin des Evangelischen Siedlungswerks in Bayern, ergänzt wurde, stellten sich die Schwierigkeiten kommunaler Wohnungsunternehmen dar, die vor allem politischen Einflüssen unterliegen. Einigkeit herrschte über das hohe deutsche Wohnungsmarktniveau, weshalb dieser Markt mit stagnierenden Preisen ein gefundenes Fressen für „Heuschrecken“ darstelle.
Dennoch, ob mit ausländischen Investoren oder ohne: Kurzfristiger Erfolg ist nicht alles, Dagmar Reiß-Fechter brachte es auf den Punkt: „Nur die Orientierung am Kunden bringt neue Fantasie in die Branche.“
07.04.2006, Andreas Bulling