Städte brauchen wieder Eigenschaften

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NÜRTINGEN. (üke) Es ist ein Bild, das sich dem Besucher vieler Städte in nahezu allen Ländern bietet: Gleichförmige Stadtzentren, anonyme Wohnquartiere und Stadtviertel, die durch Schnellstrassen zerschnitten sind. Gesichtsslos sind sie geworden, die Städte als Sinnbild der europäischen Kulturgeschichte, und dem Mobilitätszwang der modernen Gesellschaft wird vielerorts mehr gehuldigt, als dem Wohn- und Lebensbedürfnis der Bürger. Wohnen, Arbeiten und Freizeit bildeten bis zum Anfang dieses Jahrhunderts eine Einheit. In den letzten Jahrzehnten wurden diese zentralen Lebensbereiche räumlich brutal voneinander getrennt. Die Städte sind heute zweckentfremdet, der öffentliche Raum ist zerstört und oft mitverantwortlich für wachsende Kriminalität und Verelendung vieler Städte. Eine These, die sich vor allem der Tübinger Stadtplaner Andreas Feldtkeller zu eigen macht. Feldtkeller war am Mittwoch im Rahmen der Mittwochsreihe zu Gast in der Kreissparkasse Nürtingen. Die Mittwochsreihe wird gemeinsam vom Baudezernat der Stadt Nürtingen, der Kreissparkasse Nürtingen und dem Studiengang Stadtplanung der Fachhochschule Nürtingen veranstaltet.

Feldtkeller bringt seine Ansicht von neuen innovativen Lösungsansätzen in der Stadtplanung auf einen einfachen Nenner. "Es gilt das zusammenzuführen, was über 50 Jahre zerschnitten wurde". Die Trennung von Wohnen, und Arbeiten gilt es wieder aufzuheben. Mischnutzung ist dafür das geflügelte Wort. Feldtkeller weiss wovon er redet. Der heutige Pensionär war als ehemaliger Leiter des Tübinger Stadtsanierungsamtes für die Sanierung der Tübinger Altstadt und die Neuprojektierung des Französischen Viertels in der Tübinger Südstadt zuständig. In diesem Quartier wurden zu Beginn der 90er Jahre durch den Abzug der französischen Truppen große Flächen frei- Militärgelände mit Kasernen. Eine große Chance ergab sich dadurch für die Stadt Tübingen, neue städtebauliche Ansätze zu verwirklichen. Feldtkeller und sein Team ergriffen diese Chance und heute ist die Tübinger Südstadt die Verwirklichung einer städtebaulichen Vision, die ihresgleichen sucht und in die längst der Alltag eingezogen ist. Büros, Kleingewerbe, Kultureinrichtungen, kleine Läden und Wohnungen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen bilden auf dem ehemaligen Militärareal eine Einheit. Ein Musterbeispiel für eine "Stadt" mit Eigenschaften. Leben, Wohnen und Arbeiten sind wieder eine Einheit geworden.
Für die Misere in vielen Städten macht Feldtkeller vor allem die zu große Dominanz der Architektur bei den Entscheidungen verantwortlich. Sinnvolle Stadtentwicklung ist für Feldtkeller nur dann erfolgreich, wenn die Stadtplaner neben der Architektur eben auch Qualifikationen in der Soziologie, der Moderation, der Stadtökonomie, im Marketing, im Controlling und vor allem im Projektmanagement besitzen. "All dies haben wir doch alle nie gelernt", so kritisiert Feldtkeller die Defizite vieler Architekten oder Stadtplaner.
Defizite, die der Studiengang Stadtplanung an der Fachhochschule Nürtingen von Beginn an ausräumen will. Im Gespräch mit Andreas Feldtkeller stellte Professor Dr. Wolfram Ossenberg, der Leiter des Studienganges, dar, dass gerade die Erkenntnis über die Defizite in der Ausbildung zur Konzeption des Studienganges Stadtplanung geführt hätten. Alle die von Feldtkeller aufgezählten Anforderungen seien in diesen bundesweit einmaligen Studiengang integriert. Aus diesem Grund ist es auch dem technischen Beigeordneten der Stadt Nürtingen, Wilfried Hajek, nicht bang um die Zukunft der Absolventen. Hajek, der selbst Lehrbeauftragter im Studiengang Stadtplanung ist, sieht einen großen Bedarf in den Städten und Gemeinden für die querschnittorientiert ausgebildeten Nürtinger Stadtplaner. Selbst wenn der öffentliche Dienst spart, würden die Aufgaben der Stadtplaner auf private Büros übertragen, die dann den entsprechenden Bedarf hätten. Und die Aufgaben bleiben: Hajek macht sich das Credo Feldtkellers zu eigen, indem er fordert, dass die Segmentierung der Städte aufhören müsse. Die Nutzungsmischung müsse zurück in die Innenstädte. Feldtkeller stimmt dem zu, allerdings warnt er vor allzu übereifrigen Aktivitäten zur Belebung der Innenstädte, die derzeit so populär seien. Viele Innenstädte würden mit dieses Wiederbelebungsversuchen schlicht überfordert. "Manche Innenstädte sind inzwischen wieder so belebt, dass die ersten Bewohner in die Außenbezirke flüchten. Dies sei wohl kaum im Sinne des Erfinders." Disneyland habe in der Stadt nichts zu suchen und würde wohl auch kaum den Bedürfnissen der Bürger gerecht.
Die Beteiligung der Bürger wünscht sich auch Feldtkeller, jedoch nicht in Form endloser Debattierclubs. Man könne die Planer nicht aus der Pflicht entlassen, Entwürfe für die Gestaltung der Städte vorzulegen. Das sei deren Kernkompetenz: "Wie sollen denn die Bürger wissen wie die Städte aussehen sollen, wenn dies die Planer selbst nicht wissen?" Deren Aufgabe sei vielmehr, Ziele zu formulieren und Entwürfe anzubieten. Dann erst sei Bürgerbeteiligung sinnvoll, wenn es um die Entscheidung über diese Vorlagen gehe. Die Aufgabe der Stadtplanung sei demnach, anzuregen und zu moderieren. Stadtplanung ist aktivierende Politik hin zu mehr Bürgerbeteiligung.
Rudolf Gregor, Direktor der Kreissparkasse Nürtingen, betonte auch die Rolle der Investoren in der Ausgestaltung der Städte. Ohne Investoren gebe es keine Innenstadtentwicklung. Allerdings müßten die Ansprüche der Bürger und die Bedürfnisse der Investoren in Einklang gebracht werden. Die vielzitierte Dominanz der Investoren sieht Gregor in dieser Form nicht. Die Bedürfnisse beider Seiten müßten harmonisiert werden - so weit dies gehe. Die Investoren hätten auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Für die Kreissparkasse zeige sich dies zum Beispiel auch in der Zusammenarbeit mit dem Studiengang Stadtplanung an der Fachhochschule Nürtingen.