Nachhaltige Entwicklung in Städten und Gemeinden

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- Umwelttag der Fachhochschule Nürtingen zur Lokalen Agenda 21-
Nürtingen. (eda) Lokale Agenda 21: Welche Chancen zu einer nachhaltigen Gemeindeentwicklung gibt es und wo liegen die Probleme bei der Umsetzung? Dieses zukunftsweisende Thema stand im Mittelpunkt des 10. Umwelttages der Fachhochschule Nürtingen am 26.11.1999. Der Aufbaustudiengang Umweltschutz hatte Referenten geladen, die aktiv am Lokale Agenda 21-Prozess beteiligt sind: Sie berichteten über ihre Erfahrungen in Kommunen, der Region und in Baden-Württemberg. Der Umwelttag war in diesem Jahr Teil der Veranstaltungsreihe zum 50-jährigen Jubiläum der Fachhochschule Nürtingen.

Mit der nachhaltigen Entwicklung in Ballungsräumen beschäftigten sich auch die diesjährigen Absolventen des Aufbaustudiengangs Umweltschutz. Zwei von ihnen wurden im Rahmen des Umwelttages mit Umweltpreisen ausgezeichnet: Martin Lell erhielt den Preis von der Stadt Leinfelden-Echterdingen - er hatte im Umweltseminar - der Abschlussarbeit des Studienganges - gemeinsam mit Kommilitonen Modellrechnungen zur Luftbelastung erarbeitet. Dorothea Thoma und Jens-Peter Hansen wurden für den Gewässerentwicklungplan Heppach ausgezeichnet. Die Vertreter der Städte Leinfelden-Echterdingen, Bürgermeister Vamos, und Weinstadt, Frau Bürgermeisterin Stichler, übergaben die Preise, sie lobten die Qualität und die praktische Umsetzbarkeit der Arbeiten.
Die Besonderheit der Lokalen Agenda 21 verdeutlichte Prorektor Dr. Michael Lerchenmüller schon in der Eröffnungsrede: Lokal bedeute "von unten nach oben". Im Gegensatz zu bisherigen Vorhaben entscheiden die Bürger von Anfang an über ihre Städte und Gemeinden anstatt gesetzlichen Vorgaben von "oben" zu folgen. Lerchenmüller sieht es als große Herausforderung, die - auf den ersten Blick widersprüchlichen - Ziele der Nachhaltigkeit zu verwirklichen: Eine umwelt- und generationenverträgliche, sozial gerechte und dazu wirtschaftlich tragfähige Entwicklung in den Kommunen.
Bei den Bürgern ein ganz neues Verantwortungsgefühl für die Entwicklung ihrer Kommunen zu wecken, sieht Dr. Jürgen Zieger, Oberbürgermeister der Stadt Esslingen, als zentrale Chance und Aufgabe der Lokalen Agenda 21. Politik spiele sich in den letzten Jahren zunehmend in geschlossenen Zirkeln ab, während sich der Großteil der Bevölkerung ins Private zurückziehe. Dieses sogenannte "Cocooning" gelte es zu durchbrechen. Der Lokale Agenda 21-Prozess biete hierzu beste Voraussetzungen: Bürgerbeteiligung sei ausdrücklich erwünscht und die Lokale Agenda biete einen Rahmen, der die Umsetzung erleichtere. Für Zieger müssen sich die Gemeinden von "Dienstleistungskommunen" in "Bürgerkommunen" verwandeln - die Menschen müßten von Anfang an bei Fragen des sozialen Zusammenhalts und der gegenseitigen Verantwortung mitreden. "Die Lokale Agenda 21 ist in Esslingen eingebunden in eine umfassende Verwaltungsreform", neue Kommunikationstechniken sollen die Mitsprachemöglichkeiten der Bürger verbessern - schon jetzt können die Esslinger elektronisch mit dem Rathaus kommunizieren. Zieger zeigte sich beeindruckt vom Interesse der Bürger in Esslingen: Die Auftaktveranstaltung der Lokalen Agenda in diesem Herbst hatte eine große Resonanz, die fünf Arbeitsgruppen zu Themen wie energiesparendes Bauen oder Reduzierung der Treibhausgase seien sehr gut besetzt.
Dr. Günther Urlaub, Geschäftsführer der DEKRA Umwelt GmbH, der auch Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Nürtingen ist, beschrieb die Chancen von betrieblichen Umweltmanagementsystemen zur Verbesserung der lokalen Umweltsituation. Die derzeitige Lage im Umweltschutz in Deutschland und Europa skizzierte Urlaub mit einen Bericht der Europäischen Umweltagentur: "In der EU werden bisher Maßnahmen für einen nachhaltigen Umweltschutz nur unzureichend umgesetzt. Steigende Abfallmengen, wachsender Energieverbrauch und hohe Emissionswerte werden auch zukünftig die Umwelt belasten." Urlaub räumte positive Entwicklungen, insbesondere auch in Deutschland, ein. Deutschland sei ein "Musterländle", was Zertifizierungen angehe. Im EU-weiten Vergleich seien deutsche Betriebe Vorreiter bei der Teilnahme am EU-Öko-Audit und der Einführung von Umweltmanagementsystemen. Aber die Gesamtzahl der Betriebe sei zu gering, es bedürfe noch einiger Anstrengungen, um gemäß der Agenda 21 eine nachhaltig wirkende umweltgerechte Entwicklung zu erreichen.
Laut Urlaub sei es entscheidend, dass ein Umweltmanagementsystem im Unternehmen wirklich gewollt ist. "Die Botschaft muss von oben kommen" und zwar nicht nur, weil der Unternehmer im Eingangsbereich ein gerahmtes Zertifikat haben wolle. Wann immer sich eine verringerte Umweltbelastung für das Unternehmen rechne, sei das betriebliche Umweltmanagement wesentlich effektiver als staatliche Verordnungen. Für den Bereich Abfall liege die Recyclingquote bei Betrieben mit Umweltmanagementsystem im allgemeinen über 50% während sie im Durchschnitt der EU auf niedrigen 10 % stagniere. Die Bedeutung von Umweltschutzaktivitäten für das Firmenimage werde in Zukunft deutlich zunehmen. Dies sei im Interesse der Umsetzung der Agenda 21 nur zu begrüßen.
Über die "Zukunftsregion Stuttgart auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung" berichtete Dr. Jürgen Wurmthaler vom Verband Region Stuttgart. Die Region Stuttgart wurde in einem vor zwei Jahren gestarteten Wettbewerb mit sieben weiteren deutschen Regionen für "besonders gefestigte Strukturen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit" ausgezeichnet. Grund für diesen Titel ist für Wurmthaler eine Vielzahl einzelner Projekte, die ein "erhebliches Potential an Ideen zur Nachhaltigkeit" aufwiesen und beispielhaft für andere Regionen sein könnten. Ein erstes Ergebnis der acht regionalen Arbeitsgruppen ist der "Öko-Fair-Einkaufsführer für die Region Stuttgart. Mit dem Projekt "zukunftsfähige Gewerbeflächen" will die Region Kommunen unterstützen, die Nutzungskonzepte für Gewerbebrachen erstellen, geplant ist auch ein interkommunales Gewerbegebiet. Für Wurmthaler macht sich der Erfolg einer nachhaltigen Entwicklung aber nicht an einem einzelnen Projekt fest, "sondern daran, wie eine Gesellschaft auf lange Sicht mit Ihrem Lebensraum und den verschiedenen Gesellschaftsteilen umgeht." Ein Resümee der bisherigen Erfahrungen und Erfolge des Lokalen Agenda-Prozesses in Baden-Württemberg zog Gerd Oelsner, Leiter des Agenda-Büros Baden-Württemberg in Karlsruhe. Baden-Württemberg gelte heute mit drei weiteren Bundesländern als Vorreiter im lokalen Agenda-Prozess. Inzwischen seien gut 150 Kommunen beteiligt. Das Engagement sei aber von der Größe der Gemeinden abhängig - während Großstädte im Land inzwischen praktisch alle beteiligt seien, liege der Anteil bei kleineren Gemeinden noch unter 10 %. Ganz zentral für den weiteren Erfolg sei die Zusammenarbeit von Verwaltung, Politik und gesellschaftlichen Gruppen: Der Konsens müsse frühestmöglich gesucht und durch gegenseitige Information und Abstimmung aufrechterhalten werden.
Zum Abschluss der Veranstaltung berichteten zwei Absolventen des Aufbaustudiengangs aus ihrer Berufspraxis: Siegfried Schneider koordiniert den Agenda-21-Prozess in Kehl, Petra Tesche in Rottenburg. Der Aufbaustudiengang Umweltschutz soll den Absolventen ingenieur- und naturwissenschaftlicher Studiengänge auch in Zukunft einen erfolgreichen Berufseinstieg im öffentlichen, gewerblichen oder privaten Umweltschutz ermöglichen. Der Modellstudiengang der Fachhochschulen Nürtingen, Esslingen, Reutlingen und Stuttgart wird ab dem Sommersemester 2000 zusätzlich den Abschluss "Master of Engineering" anbieten.