„Mit der Umwelt führt man keine Konsensgespräche“

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NÜRTINGEN (hpn). Seit Anfang des Jahres steht es ganz vorne im Hochschulnamen: Wirtschaft und Umwelt bilden das Profil der neuen „Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU)“. Genau der richtige Zeitpunkt, um sich über die Verbindung des nicht immer kompatiblen Begriffspaars Gedanken zu machen, bemerkte Rektor Klaus Fischer bei der Begrüßung zur neu geschaffenen Vortragsreihe „Hochschule für Alle – Wirtschaft und Umwelt im Dialog“. Gleich zum Auftakt ergriff ein Experte das Wort: Prof. Dr. Dr. Franz Radermacher, Leiter des Instituts für Anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm und Mitinitiator des Global Marshall Plan kommt zur klaren Schlussfolgerung: „Die Integration von Wirtschaft und Umwelt ist möglich!“

Wer im Dickicht der Globalisierung eine Bresche schlagen will, muss ganz unten anfangen. „Ohne Umwelt ist alles nichts,“ bemerkt Radermacher, denn Errungenschaften wie Menschenwürde und Demokratie verschwinden ganz schnell, wenn es nicht genug zu essen gibt. Eine moralisch richtig verstandene ökologisch-sozial regulierte (Markt)Wirtschaft schafft gleichwertigen Wohlstand für viele, statt extremen Reichtum für wenige. Sie gewährleistet die Stabilität von Demokratie und Rechtsstaat und entschärft in ferner Zukunft viele drängende Probleme.
Soweit die Theorie, doch wie so oft hinkt die Realität hinterher. Der Globus ist gespalten in sehr reiche und sehr arme Länder, weltweite Regulierung ist kaum möglich und die unsichtbare Hand des Marktes agiert nicht immer zum Wohle aller. In der Tat weisen Entwicklungsländer (meist im Süden) gegenüber den Industrieländern (meist im Norden) einige gravierende Mankos auf. Professor Radermacher benennt mehrere Punkte, ohne die ein Land kaum Chancen hat reich zu werden. Erste Voraussetzung ist ein funktionierendes Regierungssystem, das Rechtssicherheit schafft und Korruption eindämmt. Dazu tritt die Qualität der Ausbildung, die nicht nur für die Elite, sondern die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen sollte. „Zu viele billige, unausgebildete Dienstleister, die für ein Euro pro Tag arbeiten, schaffen arme Länder,“ illustriert Radermacher.
Auch andere Voraussetzungen für Wohlstand nach deutschem Maßstab sind für Entwicklungsländer Wunschträume: eine gute Infrastruktur ist sehr teuer und der Aufbau eines Kapitalstock fast unmöglich. „Die Menschheit wurde reich, weil ihr immer was eingefallen ist,“ beschreibt Radermacher die Folge technischer Innovation. Neue Ideen und Erfindungen schaffen Kapital, das woanders wieder eingesetzt werden kann – eine Erkenntnis die jeder nachvollziehen kann, der einmal größere Rechnungen per Hand und mit dem Taschenrechner ausgeführt und die Zeitersparnis gemessen hat. Die ersparte Zeit kann nun in die Entwicklung neuer Innovationen fließen, sofern entsprechende Anreize gegeben sind. „Der Suchprozess für Neuerungen muss mühsam finanziert werden,“ deutet Radermacher die notwendigen Voraussetzungen für ständige Innovation an.
Letztendlich sind aber auch reiche Länder an die Natur gebunden, nämlich im Zugriff auf Ressourcen. Es geht nicht nur um Essen und Trinken, sondern etwa auch um Metalle und Öl. Rohstoffe werden relativ frei gehandelt, wenn es aber zu Engpässen kommt sind die reichen Länder im Vorteil. Überhaupt haben reiche Länder den Vorteil des Ersten: sie besetzen die internationalen Wertschöpfungsnetzwerke, für Newcomer ist es nur schwer hinzukommen. Radermachers Vergleich zum Alltag: „Das ist im Berufsleben heutzutage das gleiche, denn es ist unheimlich schwer in ein Netzwerk hineinzukommen, weil immer schon jemand anderes da ist.“
Die Probleme sind also identifiziert, wo liegt die Lösung? Um arme Länder reich zu machen und damit globale Probleme zu lösen, muss ihnen in den angedeuteten Bereichen geholfen werden. Weil die Entwicklung nicht auf Kosten der Natur gehen darf muss sie nachhaltig und ausgewogen sein. Das Überraschende dabei: mit den im Jahr 2000 beschlossenen Millenium Entwicklungsziele der Vereinten Nationen gibt es bereits Vorgaben, was zu tun ist. Bis 2015 sollen etwa jeder Erdenbürger eine Grundschulausbildung erhalten oder die Zahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser um die Hälfte reduziert werden.
Im Rahmen der von ihm maßgeblich unterstützen Initiative eines Global Marshall Plans ruft Professor Radermacher zur rechtzeitigen Verwirklichung dieser Ziele auf und hat auch einen Vorschlag zur Beschaffung der jährlich benötigten 100 Milliarden Dollar parat. „Wir brauchen eine Abgabe auf internationale Transaktionen.“ Die nach dem US-Ökonomen James Tobin benannte Tobin-Abgabe ist eine minimale Steuer auf internationale Devisengeschäfte, die im Streit von Globalisierungskritikern und –befürwortern regelmäßig hitzige Debatten auslöst. Radermacher bekennt sich deutlich: „Es gibt kein prinzipielles Argument, das dagegen spricht.“
Schaffen die armen Länder so den Anschluss an den reichen Norden, sind einige der dringendsten globalen Probleme leichter zu lösen. Besonders der maßvolle Umgang mit der Umwelt muss dabei im Vordergrund stehen, denn, so Rademacher zitierend: „Mit der Umwelt führt man keine Konsensgespräche“. Es gibt also einiges zu tun für die neue alte „Hochschule für Wirtschaft und Umwelt“, denn gerade hier, so Rademacher, „werden die Unternehmer der Zukunft ausgebildet, die unsere Zukunft einmal bestimmen.“
Hanns Peter Nagel, 28.01.2005