Lust und Last des Chef-Daseins

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NÜRTINGEN. (hpn). Am Ende entscheidet immer der Chef. Ob gut oder böse – letztendlich tragen in einem Unternehmen nur wenige Führungspersönlichkeiten die Verantwortung. Sie bestimmen über wohl und wehe der Firma und ihrer Mitarbeiter. Aus Freude am Job wird schnell eine Belastung und die Frage, ob Unternehmensführung überhaupt Spaß machen darf, beängstigend aktuell. Genau dieses Thema stellte Martin Beck, frisch ernannter Honorarprofessor der Hochschule Nürtingen und Geschäftsführer der Metzinger Schreyer-Gruppe, in den Mittelpunkt der zweiten Auflage des Tags der Unternehmensführung der Hochschule Nürtingen.

Organisator und Moderator Martin Beck wollte die leichte Provokanz der Frage gar nicht herunterspielen. „Darf Unternehmensführung Spaß machen?“, sollte die etwa dreißig im Stucksaal der Hochschule versammelten Teilnehmer aus Wirtschaft und Sozialwesen zum Nachdenken über Rolle und Selbstverständnis von Führungspersönlichkeiten anregen. Wie aktuell die schon lange im voraus festgelegte Themenstellung ist, konnte Beck dabei am eigenen Leibe erfahren. Als Geschäftsführer der Schleyer-Gruppe musste er drei Tage zuvor Insolvenz anmelden, eine Situation in der „Unternehmensführung definitiv keinen Spaß gemacht hat“, so Beck.
Eine erste Annäherung ans Thema lieferte Peter King, gelernter Psychologe und Geschäftsführer des diakonischen Institut für Soziale Berufe, der in seinem einleitenden Vortrag nicht weniger provokante Thesen aufstellte. „Jede Führungspersönlichkeit muss ihre narzisstischen Bedürfnisse beachten, erst dann macht Führung Spaß“, rückte der Psychologe das Selbstwertgefühl der Führungskraft in den Vordergrund. Ganz wie der legendäre Narcissus in der Sage, möchte sich jeder Mensch gerne selbst vorteilhaft im Spiegel sehen und auch die Führungspersönlichkeit müsse sich selbst mögen dürfen, um Spaß in ihrer Tätigkeit zu haben. Dabei muss dem Chef jedoch immer klar sein: durch gute Führung erzeugte Synergien in einer Gruppe übertreffen immer die eigene Leistung, übertriebene persönliche Ambitionen sind fehl am Platze. „Wer seine Bedürfnisse nach Anerkennung nicht verleumdet oder überbetont ist eine gute Führungspersönlichkeit“, fasste King zusammen.
Doch Führungskräfte sind noch vielen anderen Einflüssen ausgesetzt. So werde die gestalterische Freiheit als Spaßfaktor im Chef-Alltag durch Aufsichtsgremien und Regelwerke immer mehr eingegrenzt. „Die wuchernden Regularien sind Zwangshandlungen gegenüber Geschäftsführern“, so King herausfordernd. Wenig hilfreich sei auch die in der Unternehmenswelt vorherrschende Konzentration auf Fachwissen, die Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung in den Hintergrund dränge. Fachwissen sei nur ein kleiner Teil von Führungsqualität, die Persönlichkeit sei viel entscheidender. Und auch in der eigenen Branche beobachtet King Missstände: „In sozialen Unternehmen ist es regelrecht verpönt besonderen Ehrgeiz zu entwickeln.“
Als Vertreter der Praxis antwortete zunächst Prof. Klaus Fischer, Rektor der Hochschule Nürtingen. In ihren Ausmaßen ist die Hochschule fast einem mittelständisches Unternehmen vergleichbar, trotzdem besitzt der Rektor direkte Steuerungsmöglichkeiten nur bei seinen Mitarbeitern und sieht sich ansonsten zahlreichen Zwängen ausgesetzt. Für die eigene Position als Führungskraft erkennt Fischer daher vor allem in der Interaktion mit den Mitarbeitern als Motivationsquelle: „Der Spaß liegt nicht im Fachlichen, sondern in der Auseinandersetzung mit anderen.“ Dieser Punkt und die Tatsache das man benötigt wird, wiegen für Fischer dann auch die negativen Seiten seiner Funktion auf: „Führungskräfte müssen auch leiden, das lässt sich manchmal nicht umgehen.“
Zustimmung bekam er darin von Manfred Minich, Geschäftsführer des Etikettenherstellers Herma, der Spaß an Führung vor allem in Verbindung mit unternehmerischem Erfolg setzte. „Erst bei Windstärke acht beweist sich gute Führung“, stellte Minich klar. Besonders in kritischen Situationen wird dabei deutlich was an Führung Spaß machen kann. „Ich freue mich dann über jede kleine Verbesserung und jeden kleinen Fortschritt,“ erläutert Minich die große Ergebnisabhängigkeit von Unternehmensführung. Minichs Fazit: „Durchschnittliche Unternehmensführer geben sich mit dem Spaß an der Arbeit zufrieden, erfolgreiche Chefs sind ergebnisorientiert.“
Was beschert dem Unternehmensführer nun ein dauerhaftes Glücksgefühl im Job? Die abschließende Diskussion brachte kein endgültiges Ergebnis, immerhin aber doch einige interessante Denkanstöße. Spaß an Führung kommt etwa dann auf, wenn man bestimmte Werte damit verbindet, wie es oft im sozialen Bereich geschieht. Hilfreich wären auch mehr unternehmerische Freiheiten und ein Hinterfragen der überbordenden Regelwerke. Richtige Freude kommt aber mit eine positive Grundhaltung auf. „Was morgen ist, auch wenn es Sorge ist, ich sage ja!“, zitierte Peter King den Dichter Wolfgang Borchert – und gab den Chefs dieser Welt noch einen kleinen Leitspruch mit auf den Weg.
Hanns-Peter Nagel, 06.12.2004