Kein Ertrag, keine Artenvielfalt

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HfWU-Prorektorin Prof. Dr. Carola Pekrun (links) mit den Referenten Prof. Dr. Maria Müller-Lindenlauf und Prof. Dr. Markus Röhl.

- Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) befasste sich mit „biodiversitätsfördernder Landwirtschaft“ –

NÜRTINGEN (hfwu). Intensive Landnutzung, veränderte Fruchtfolgen, Dünger- und Pflanzenschutzmitteleinsatz – der Rückgang der Artenvielfalt in der Landwirtschaft hat viele Ursachen. Die eigentliche aber liegt im wirtschaftlichen Druck, dem die Landwirte ausgesetzt sind. Darin waren sich die Referentin und der Referent des Studium-generale-Abends an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) einig. Es ging um die Chancen und Hemmnissen einer biodiversitätsfördernden Landwirtschaft.

Einer breiten Öffentlichkeit wurde die Bedeutung des Themas Artenvielfalt erst mit der Veröffentlichung einer Studie deutlich, die in den vergangenen Jahrzehnten einen Rückgang der Biomasse von fliegenden Insekten um 75 Prozent festgestellt hatte. Darauf wies Prof. Dr. Carola Pekrun zu Beginn des Studium-generale-Abends hin. „Es wurde deutlich, dass das Thema Biodiversität noch viel mehr in die Öffentlichkeit getragen werden muss“, so die HfWU-Prorektorin für Forschung und Transfer. Und es führte auf Landesebene zu einer Kooperation von drei Ministerien und vier Hochschulen. Das Landwirtschafts-, das Umwelt- und das Verkehrsministerium, sowie die Unis Freiburg und Hohenheim, sowie die Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg und die HfWU brachten das „Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt“ auf den Weg. Im Wintersemester finden im Rahmen des Programms Vorträge rund um das Thema Biodiversität statt. Alle online, drei davon zudem vor Ort an der HfWU. Beim ersten Vortrag in Nürtingen ging es um die „Chancen und Hemmnisse einer biodiversitätsfördernden Landwirtschaft“.

„Artenvielfalt in der Landwirtschaft ist ein ökonomisches Problem, wie man Biodiversität macht, das wissen wir“, bringt Dr. Maria Müller-Lindenlauf das Grundproblem auf den Punkt. „Der Biodiversitätsverlust in der Agrarlandschaft ist das Ergebnis einer Landwirtschaft, die unter der Nutzung des technischen Fortschritts auf hohe Erträge zu niedrigen Erzeugerkosten optimiert wurde“, so die HfWU-Professorin für Agrarökologie. Wie Artenvielfalt in der Landwirtschaft gehen kann, stellte sie anhand einiger eigener Forschungsprojekte vor, darunter die Diversifizierung beim Silomaisanbau mit einem Mais-Stangenbohnen-Gemenge. Nach der Überzeugung der Agrarexpertin gibt es „pflanzenbaulich super Systeme“. Die müssten aber in der Praxis wirtschaftlich umsetzbar sein. Für eine Landwirtschaft, die Artenvielfalt fördert, seien daher höhere Erzeugerpreise oder Prämienzahlungen und ein verändertes Konsumverhalten nötig. Dem entsprechend fordert Müller-Lindenlauf einen Paradigmenwechsel: Nicht mehr das Ertragsmaximum, sondern das ökologische Optimum müsse die Richtschnur in Lehre, Beratung und Forschung werden.

Dr. Markus Röhl, HfWU-Professoren-Kollege von Müller-Lindenlauf, beleuchtete das Thema aus der Perspektive des Naturschutzes. Auch er fordert einen „Paradigmenwechsel“ und teilt die Ansicht, „die ökonomischen Aspekte sind zentral“. Historische Kulturlandschaften dienten dem Naturschutz häufig als Leitbild, so Röhl. Zum einen gebe es aber ganz unterschiedliche Arten von Kulturlandschaften, zum anderen sei eine Übertragung der historischen Nutzung auf heutige Verhältnisse bezüglich des Naturschutzes problematisch. So gebe es heute zum Beispiel rechtliche Einschränkungen. Vor allem aber fehle oft eben die wirtschaftliche Grundlage. Am Beispiel der Streuobstwiesen und den rund zehn Millionen Streuobstbäumen in Baden-Württemberg werde dies deutlich. Im 19. Jahrhundert war die Mehrfachnutzung der Wiesen wirtschaftlich machbar, heute ist sie es nicht mehr. Auch Naturschutzgebiete hätten beim Rückgang der Artenvielfalt keine Trendwende gebracht und „in landwirtschaftlich dynamischen Gebieten hat der Naturschutz versagt“, so der Befund des Wissenschaftlers. Hier sei durchaus auch Eigenkritik angebracht, so Röhl. Grundsätzlich fordert er: „Wir müssen wegkommen von einem System, das Verluste finanziert, hin zu echten Prämien.“ In der Landwirtschaft sieht der Professor für Naturschutz und Vegetationskunde einen zentralen Treiber der Biodiversität – im Guten wie im Schlechten. Klar sei aber, „Landwirte sind keine Ehrenämtler. Wollen wir die Artenvielfalt stärken, müssen auch entsprechend die Einnahmequellen stark ausgebaut werden“. Röhl und Müller-Lindenlauf sind sich einig: Biodiversität muss vom wirtschaftlichen Hemmnis zum Anreiz werden.