Gewinner und Verlierer der Globalisierung

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5. Umwelt-Ethik-Forum der Fachhochschule Nürtingen
NÜRTINGEN. (eda) Globalisierung: Der Mensch - Global Player oder Spielball? Diese Frage wurde vom 12.-13. November 1999 beim fünften Umwelt-Ethik-Forum der Fachhochschule Nürtingen diskutiert. Was verstehen wir heute unter Globalisierung? Wer sind ihre "Macher" und "Gewinner" und wer bleibt bei der internationalen Schlacht um Macht und Marktanteile auf der Strecke?

Das Umwelt-Ethik-Team der Fachhochschule hatte in Zusammenarbeit mit Professor Phillip Pott fünf Referenten in die Jugendherberge Sonnenbühl-Erpfingen geladen. "Die Rolle der Ethik in der heutigen technologischen Zivilisation" war das Thema von Wolfgang Schäfer von der Evangelischen Akademie Bad Boll. Für ihn befindet sich unsere Welt einem "ethischen Vakuum". In einer Welt, in der sich Einzelstaaten auflösten und Auswirkungen von Handlungen weltweit seien, gäbe es keine allgemeinen ethischen Normen mehr. Die wirtschaftlichen Einzelinteressen ständen im Mittelpunkt. Ethische Normen müssten sich - als Mischung zwischen sachlichem Wissen und gefühlsmäßiger Überzeugung - "als unbegründbar gegenüber faktischem Wissen schämen". Als Paradebeispiel sieht Schäfer die neue Regie-rung. Mit dem Regierungsziel "Innovation und soziale Gerechtigkeit", würde der Wider-spruch deutlich: Soll die soziale Gerechtigkeit die Priorität sein oder ist es das Oberziel "im System zu bleiben, um wiedergewählt zu werden"?
Die Zusammenhänge zwischen der Internationalen Agrarhandelspolitik und der Ernährungssituation in den Entwicklungsländern erklärte Martin Wolpolt-Bosien von FIAN (internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung). Er beschrieb die Situation auf dem internationalen "Marktplatz der Agrarpolitik": EU und USA als Supermächte im internationalen Agrarhandel stehen den einkommensschwachen Nettonah-rungsmittelimportländern gegenüber. In dieser großen Gruppe von Ländern leben 60% der Bevölkerung, ein Viertel davon ist chronisch unterernährt. Einen wichtiger Grund dafür sieht Wolpolt-Bosien im "Preis- Dumping-Duell" zwischen den USA und der EU: Die beiden führenden Agrarexporteure haben das Preisniveau ihrer Agrarexporte in den letzten Jahren immer weiter nach unten gedrückt. In den Entwicklungsländern überschwemmen sie mit Billigprodukten die Märkte. Dies sei eine "Form der ökonomischen Eroberung, die ähnlich katastrophale Folgen hat, wie Kolonialisierung Lateinamerikas früher". Auch für die Zukunft sieht Wolpolt-Bosien keine Änderung: Die jetzt beginnende Verhandlungsrunde der WTO (World Trade Organisation) wolle die Exportsubventionen als strategisches Instrument verteidigen. Dennoch geben die FIAN und andere engagierte Nichtregierungsorgnisationen nicht auf - sie fordern ein Menschenrecht auf Nahrung und das Recht auf eine eigenständige Agrarpolitik im Süden.
Die Auswirkungen des weltweiten Reisens und Transportierens auf die Umwelt waren das Thema von Willi Loose vom Ökoinstitut Freiburg. "Die Tourismusbranche erreicht Wachstumszahlen wie kein anderer Wirtschaftsbereich". Der Anteil der Auslandsreisen sei gestiegen, insbesondere Reisen in Überseeländer haben die größten Zuwachszahlen. In den meisten Ländern finde ein "Kolonialismus" statt: Umwelt, Wirtschaft und soziale Bindungen würden durch den Massentourismus zerstört.
Auch Geschäftsreisen mit dem Flugzeug seien mit den neuen Kommunikationsmedien nicht weniger geworden. Das Internet habe sich vielmehr als "Förderer von Mobilität" herausgestellt". Um die Umweltbelastung durch den Verkehr in den Griff zu bekommen, reicht es für Loose nicht aus, auf die moderne abgasreduzierende Technik zu setzen. Eine "Kostenwahrheit" sei nötig, d. h. die ökonomischen Kosten der Umweltbelastung durch den Verkehr müssten den Verursachern angelastet werden. Die politische Förderung regionaler Wirtschaftsstrukturen gehört für Loose untrennbar dazu.
"Die Saat der Konzerne - Globalisierung im Agrobusiness". Dieses Thema wurde von Rüdiger Stegemann, vom Forum Umwelt und Entwicklung beleuchtet. Stegemann gab einen detaillierten Einblick in die Saatgutindustrie, die immer stärker von wenigen Großkonzernen beherrscht wird. Stegemann beschrieb die Folgen der zunehmenden Konzentration im Agrobusiness auf die Ernährungssituation: Die transnationalen Konzerne treiben die Lizenzierung und Patentierung von Pflanzen und Tieren voran. Das Ziel sei, den Bauern den Eigennachbau unmöglich zu machen und sie in die Abhängigkeit vom Bezug des Saatguts der Großkonzerne zu treiben. Einer der größten Agrarkonzern der Welt, habe ein Patent für ein sogenanntes "Terminatorsaatgut" angemeldet: Ein "Terminatorgen" im genmanipulierten Saatgut mache das Erntegut unfruchtbar und damit für Nachzucht wertlos. Ein großes Problem sieht Stegemann darin, dass die transnationalen Konzerne sich heute jenseits aller nationaler Grenzen bewegen - und "mit nationaler Gesetzgebung heute vielfach nicht mehr zu greifen sind". Wie für Wolpolt-Bosien sind für Stegemann die Nichtregierungsorganisationen wichtige Kämpfer für die Rechte der Bauern in den Entwicklungsländern und den Erhalt der biologischen Vielfalt.
Wie die Globalisierung sinnvoll gestaltet werden kann, versuchte Dr. Klaus Hirsch von der Akademie Bad Boll zum Abschluss der Tagung zu klären. "Heute wird Globalisierung in der Regel als Begriff gebraucht, der ökonomische Entwicklungen beschreibt". Soziale und ökologische Aspekte würden dagegen kaum diskutiert. Zudem habe nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung an globaler Kommunikation und Handel überhaupt einen Anteil. Hirsch definierte die heutige Form der Globalisierung als "Kontinentalisierung der Wirtschaft für bestimmte Länder". Hirsch forderte eine Einbeziehung der Bedürfnisse der gesamten Menschheit in den Globalisierungsprozess. Die Globalisierung der Wirtschaft müsse politisch begleitet werden, ein internationaler politischer Ordnungsrahmen sei nötig. Hirsch forderte, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten der vernetzten Welt zu mehr zu nutzen als für "Geldgeschäfte". Die Menschen sollten international kommunizieren, um mehr von den Vorstellungen anderer Völker zu lernen und um diese in Entscheidungen einzubeziehen.
Die Teilnehmer am fünften Umwelt-Ethik-Forum wurden angeregt, sich selbst für "eine menschlichere Form der Globalisierung" einzusetzen. Das Umwelt-Ethik Forum wurde finanziert vom Referat für Technologie- und Wissenschaftsethik in Karlsruhe.