Gesundheitssystem heilbar

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Buchcover mit Titel Gesundheit der Zukunft

Der vielgefragte Gesundheitsökonom und Regierungsberater Prof. Dr. Boris Augurzky skizzierte im Studium generale die "Zukunft der Gesundheit" - Details dazu bietet sein gleichnamiges Buch.

Gesundheitsökonom skizziert im Studium generale Probleme und Lösungsansätze

NÜRTINGEN (hfwu). Im Gesundheitssystem krankt es an etlichen Stellen. Wo konkret die Probleme liegen, vor allem aber, wie die Lösungen aussehen könnten, das zeigte ein Vortrag im Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU).

„Ohne Anpassung wird die Sozialabgabenquote in zehn Jahren deutlich über 50 Prozent liegen, also zehn Prozent höher als heute“, stellte Prof. Dr. Boris Augurzky in seinem Online-Vortrag im Rahmen des Studium generale klar. Die Auswirkungen auf die Unternehmen, die bei den Löhnen in einem internationalen Wettbewerb stehen, lägen auf der Hand. „In der Pflegeversicherung kommt ein Tsunami auf uns zu“, so der Gesundheitsökonom weiter. Die Versicherung sei mit Blick auf verfügbares Fachpersonal schon jetzt an der Grenze. Wenn spätestens in den 30er-Jahren noch die geburtenstarken Boomer-Generationen hinzu- und gleichzeitig wenig Junge nachkommen, „dann weiß ich nicht, wie wir diese Pflegebedürftigkeit bewältigen wollen.“

Der Ist-Zustand ist ernüchternd, den der Volkswirtschaftler und Mathematiker in seinem Vortrag mit dem Titel „Die Gesundheit der Zukunft – wie wir das System wieder fit machen“ skizzierte. Zur vielfältigen Misere im Sozialversicherungs- und Gesundheitssystem komme ein „Epochenwandel“ hinzu, der Reformen noch schwieriger mache: eine starke Alterung der Bevölkerung, Klimawandel, Deglobalisierung, Infektionskrankheiten, der Krieg in der Ukraine und eine veraltete Infrastruktur. „Alles Entwicklungen, die Ressourcen reduzieren und selbst beanspruchen“.

Dem viel gefragten Klinik-Experten, der unter anderem die letzte Bundesregierung beriet, ging es aber keineswegs darum, ein Untergangsszenario zu zeichnen. Dem deutschen Gesundheitssystem würde er grundsätzlich eine recht gute Konstitution bescheinigen. Ein wesentliches Problem liege vielmehr in seiner Ineffizienz. Mit fast 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt Deutschland so viel Geld für sein Gesundheitswesen aus wie kein anderes Land in Europa. Bei der durchschnittlichen Lebenserwartung, die auch ein Indikator für die Gesundheit der Bevölkerung ist, liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf den letzten Plätzen. Nur in Griechenland und Polen sterben die Leute noch früher.

Drei wesentliche Hebel für Reformen sieht Augurzky. Bei mehr Effizienz gehe es unter anderem um weniger Bürokratie, mehr Künstliche Intelligenz und insbesondere die elektronische Patientenakte. Ressourcen auszubauen sei der zweite wichtige Ansatz. Hier spielen eine höhere Attraktivität der Berufe im Gesundheitswesen und Zuwanderung eine wichtige Rolle. Ein dritter Schlüssel ist, zu weniger Bedarfen zu kommen. Dies könnte mit mehr Prävention, mehr Eigenverantwortung und ambulanten Behandlungen erreicht werden. Wichtig sind hier zudem eine bessere Steuerung und mehr Transparenz darüber, was im jeweiligen Fall wirklich nützt.

Verbesserungspotenziale im Gesundheitswesen gibt es also genug, so das Fazit des Gesundheitsökonomen. Mancherorts würde das in Projekten schon eindrucksvoll in der Praxis demonstriert. So sind beispielsweise ärztliche Videosprechstunden im Kinder-Notdienst sehr effektiv. Bei einem Pilotprojekt konnte die Hälfte der Fälle mit einer telemedizinische Erstberatung abschließend geklärt werden – Fälle, bei denen nach dem herkömmlichen Vorgehen der Notarzt ausgerückt wäre. Das Fazit von Augurzky: „Wir müssen von einem ‚System Reparaturbetrieb‘, das Kranksein im Fokus hat und finanziert, zu einem ‚System Gesunderhaltung‘ kommen, das dafür entsprechende Anreize setzt.“