Flächenfraß stoppen - Politik und Praktiker stellen Konzepte vor

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Boris Palmer sieht wegen der aus einer Sicht weniger toleranten Haltung vieler Ostdeutschen keine Möglichkeit, Flüchtlinge im großen Stil in leerstehenden Gebäuden in den neuen Bundesländern unterzubringen. (Foto: hfwu/renner)

-  Tagung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen befasst sich mit Flächenverbrauch in Baden-Württemberg; Referent Boris Palmer zu höherem Wohnraumbedarf durch Flüchtlinge  -

NÜRTINGEN. (hfwu) Grün bauen statt Bauen im Grünen, so das klare Bekenntnis der politischen Vertreter bei einer Tagung der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) zum Thema Landverbrauch. An konkreten Beispielen zeigten Experten wie der enorme Flächenfraß in Deutschland gestoppt werden kann.

Im Jahr 1960 beanspruchte jeder Bürger 15 Quadratmeter Wohnfläche. Heute sind es 50. Die Folgen zeigen sich unter anderem in einem enormen Flächenfraß. Fünf Hektar Grünfläche werden in Baden-Württemberg an jedem Tag überbaut. Diese Zahl nannte Dr. Gisela Splett im Rahmen einer Tagung zu Flächenverbrauch und kommunalem Flächenschutz an der HfWU in Nürtingen. Als langfristiges Ziel sieht die Staatssekretärin im Landesministerium für Verkehr und Infrastruktur „eine Netto-Null beim Flächenverbrauch“. Bis 2020 soll bundesweit der Flächenverbrauch auf 30 Hektar pro Tag reduziert werden. Ein „schwieriges Umfeld“ mit vielen verschiedenen Interessenslagen nennt Splett als Grund, warum trotz der seit langem definierten politischen Ziele nach wie vor täglich in Deutschland Wald und Wiesen in der Größenordnung von hundert Fußballfeldern verschwinden. Vor diesem Hintergrund müsse sich die städtebauliche Entwicklung auf die Innenentwicklung, also die Ausschöpfung innerstädtischer Potenziale konzentrieren statt Neubaugebiete an den Ortsrändern zu schaffen. Zum sich aktuell abzeichnenden höheren Bedarf an Wohnraum durch die Flüchtlinge sagte Splett: „Hier darf es keine zwei Standards geben“. Es gehe darum, diese Menschen zu integrieren und bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen.  

Zur Flüchtlingsdebatte nahm auch Boris Palmer eingangs seines Referats Stellung. „Wir müssen eine Reihe von grünen Errungenschaften wegpacken - auch manches, was mit den Grünen im Baurecht erreicht wurde. In der aktuellen Situation geht vieles einfach praktisch nicht“, so der Tübinger Oberbürgermeister. So klar wie bei der Zuwanderungsdiskussion positionierte sich Palmer auch als Verfechter der Innenentwicklung. Am Beispiel Tübingen zeigte er, wie diese konkret realisiert werden kann. Großprojekte in den 90er-Jahren wie die Neugestaltung des Französischen Viertels und des Loretto-Areals dienen heute als Blaupause für die innerstädtische Entwicklung weiterer Quartiere. Aktuell entstehen in der Universitätsstadt auf einem Areal ehemaliger Bahnliegenschaften 500 neue Wohneinheiten. Aber auch kleinere Maßnahmen der Innenentwicklung wie Aufstockungen, Anbauten und Neubauten seien wichtige Maßnahmen – immer unter der Maßgabe, dass die Qualität der Entwicklung an erster Stelle stehe. „Einfach alles verdichten ergibt keinen Sinn“, so Palmer. Es komme darauf an, angepasst an die bestehende Infrastruktur, Historie und im Dialog mit den Bewohnern der Stadtteile die richtigen Flächen mit der richtigen Bebauung zu versehen. Solche Vorhaben allein mit dem geringeren Flächenverbrauch zu begründen „bringt Ihnen hier gar nichts“, so der Grünen-Politiker.

Nach den politischen Konzepten standen konkrete Beispiele, wie der Flächenverbrauch in der Praxis reduziert werden kann, auf dem Programm. Experten der HfWU zeigten mögliche neue Nutzungsformen von militärischen Groß- und von Gewerbeflächen. Zudem stellte ein Vertreter der Stuttgarter Akademie der Künste das „Reallabor Spacesharing“ vor, ein Konzept zur effektiveren Nutzung von Gebäuden im städtischen Raum. Die Tagung endete mit Workshops und einer Abschlussdiskussion. Zu der öffentlichen Veranstaltung waren rund hundert Experten aus Ökonomie, Umweltschutz und Raumplanung an die HfWU nach Nürtingen gekommen. Organisiert wurde die Veranstaltung von der HfWU-Koordinationsstelle Wirtschaft und Umwelt (KoWu) unter Leitung von Prof. Dr. Christian Arndt.