„Darf ich was ich kann?“

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In wenigen Wochen beginnen an den Hochschulen wieder die Vorlesungen. Ein Studiengang im Landkreis ist besonders beliebt: Wirtschaftsrecht am Standort Geislingen der Hochschule Nürtingen. Anfang Oktober werden 45 Erstsemester im Hörsaal erwartet. Ihnen kann man gratulieren – 390 junge Menschen hätten gerne einen Platz gehabt. Wir sprachen mit Studiengangleiter Professor Dr. Dieter Weber über das beliebte Studienfach Wirtschaftsrecht.

Herr Professor Weber, Sie haben 1999 den Studiengang Wirtschaftsrecht aus der Taufe gehoben. Haben Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?
Klar hofft man auf Erfolg, wenn man einen neuen Studiengang initiiert. Dass alles so gut lief, daran haben viele mitgeholfen. Ein wichtiger Vorzug des Studienganges ist sicher die gelungene Kombination von wirtschaftlichen und juristischen Studieninhalten. Ich denke, wir müssen uns von dem „Ein-Fach-Denken“ verabschieden, künftig ist vielmehr interdisziplinäres Wissen gefordert. Dass uns dies gelungen ist, zeigt sich an den ersten Absolventen, die uns im Oktober verlassen. Alle fünf, die das Studium in acht Semestern abgeschlossen haben, haben nicht nur einen Job gefunden, sondern sind bei erstklassigen Arbeitgebern, großen Anwaltskanzleien, Unternehmensberatungen oder Verbänden untergekommen.
Wenn nur fünf Studierende in der Regelstudienzeit abschließen, heißt das dann, für die anderen war das Studium zu schwierig?
Das heißt es mit Sicherheit nicht generell. Ein Großteil der Studierenden des Pioniersemesters hat alle Prüfungen bestanden und feilt derzeit noch an der Diplomarbeit. Natürlich wird im Fach Wirtschaftsrecht etwas verlangt. Wir wollen die jungen Akademiker schließlich auf die Praxis vorbereiten und ihnen das mitgeben, was sie später im Beruf benötigen.
Das spricht für die gute Ausbildung und bei Ihren Bewerberzahlen können Sie sich die Studienanfänger ja praktisch aussuchen. Was sollte denn ein angehender Wirtschaftsjurist mitbringen, um im Paragraphen-Dschungel zu bestehen?
Sie sprechen zwei Dinge an: Zum einen ist es tatsächlich so, dass wir zusätzlich zur Hochschulzulassungsnote den Bewerbern die Teilnahme an einem so genannten Studierfähigkeitstest anbieten, dessen Ergebnis in die Studienplatzvergabe mit einfließt. Zum anderen hat eine Studie, die wir an der Hochschule Nürtingen gemacht haben, ergeben, dass Mathematik und Deutsch die wichtigsten Schulfächer für einen Wirtschaftsjuristen sind. Ohne einen guten Schulabschluss werden Sie aber in unserem Studiengang nicht zurechtkommen.
Worauf begründet sich das?
Ganz einfach: Wenn Sie Mathematik beherrschen, dann bringen Sie ein logisches Denkvermögen mit, dass bei der Abstraktion von Rechtsfällen erforderlich ist. Zudem kommen Sie mit Finanzmathematik und Statistik klar. Gute Deutschkenntnisse eröffnen Ihnen Kommunikationsmöglichkeiten, die Sie als Wirtschaftsjurist brauchen. Sie müssen mit Menschen reden und Texte verfassen können. Die Sprache ist das Medium für den Umgang mit Menschen. Deshalb sind Kenntnisse einer Fremdsprache ebenfalls wichtig. Selbst die angeblich tote Sprache Latein lebt in der Juristerei weiter.
Wenn Sie Fremdsprachen ansprechen: Welche Rolle spielt internationales Recht in Ihrem Studiengang?
Zum Begriff des Internationalen Rechtes ist zunächst zu sagen, dass es sich dabei um einen weitverbreiteten Irrtum handelt. Es gibt kein Internationales Recht. Es geht stets um die Frage, welches nationale Recht gilt. Wenn ein englischer Konzern mit einem deutschen Unternehmen Geschäfte macht, dann braucht der Engländer einen Fachmann für deutsches Recht und umgekehrt. Dass für unsere Studierende Auslandssemester wichtig sind, ist selbstverständlich. Diese gehen ins europäische Ausland, in die Vereinigten Staaten, nach Dubai oder nach Asien. Eine enge Zusammenarbeit pflegen wir mit Jekaterinburg am Ural. Dort sind stets zwei Studierende aus Geislingen und jetzt werden erstmals zwei aus der russischen Föderation zu uns kommen.
Sie hatten zu Anfang von einer Kombination zwischen Wirtschaft und Recht gesprochen, wie äußert sich das in den Vorlesungen?
Ein Wirtschaftsjurist muss im Betrieb die Schnittstelle zwischen einem Kaufmann und einem Volljuristen schließen können. Der theoretische Überblick über Bürgerliches Recht, Privatrecht, Prozessrecht, Verfassungs- und Verwaltungsrecht wird anhand von praktischen Fällen vertieft. Dazu treten die wirtschaftlichen Kenntnisse der Betriebs- und Volkswirtschaft. In der Praxis sieht es heute so aus, dass sich viele Unternehmen beide Stellen nicht mehr leisten können – die Geislinger Wirtschaftsjuristen sind dafür prädestiniert. Und die Berufsaussichten für unsere Absolventen werden dadurch noch besser.
Und was macht der Geislinger Fachmann später im Unternehmen?
Nun, wir bilden keine Wirtschaftskriminalisten aus. Aber für Unternehmen wird es immer wichtiger, zu wissen, was sie überhaupt dürfen, um sich nicht strafbar zu machen. Zum Beispiel gibt es eine fahrlässige Insolvenz. Ein reiner Betriebswirt kann mit diesem Rechtsbegriff häufig nichts anfangen. Oder nehmen Sie den Marketingleiter, in der Regel ein Kaufmann, der einen tollen Werbeslogan entwickelt hat, sich aber vielleicht gar nicht fragt, ob die Aussagen rechtskonform sind. Der Wirtschaftsjurist soll dafür sorgen, dass wirtschaftlicher Erfolg auf einem völlig legalen Wege erzielt wird.
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