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Gegen Systemzwang zivilen Ungehorsam

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Stefan Krug, Leiter des Greenpeace Landesbüros in München, sprach im Rahmen des Studium generale an der HfWU. (Foto: HfWU)

- Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU); Thema Energiewende und Zivilgesellschaft; Greenpeace-Vortrag -

NÜRTINGEN (hfwu). Politik, Wirtschaft und Bürokratie gefangen in Systemzwängen. Kaum größer vorstellbar, die Kluft zwischen der Tragweite der ökologischen Krisen und des Bewusstseins für diese in der Gesellschaft. Dieses Bild zeichnete der Referent von Greenpeace im Rahmen eines Vortrags im Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Gerade jetzt komme zivilgesellschaftlichen Organisationen eine besondere Bedeutung zu, und Wut und Empörung.

Wie ein Junkie, dem seine Abhängigkeit schockartig klar wird. Diesen Eindruck hat Stefan Krug von Deutschland im Energiewendemodus. „Das, was gerade passiert ist die Folge einer verantwortungslosen Energieversorgungspolitik der vergangenen Jahrzehnte“, so der Leiter der Greenpeace-Landesbüros Bayern bei seinem Vortrag an der HfWU in Nürtingen. Anders als bei der Stromversorgung läge bei der Primärenergie, also bei den noch nicht umgewandelten Energiequellen, der fossile Anteil nach wie vor bei 80 Prozent. „Der fossile Kraftwerkpark läuft weiter“, so der Befund des ehemaligen Greenpeace-Pressesprechers. Viel Geld sei in den vergangenen Jahrzehnten in Technologien für erneuerbare Energien geflossen. Eine nachhaltige Auswirkung auf die CO2-Bilanz? Fehlanzeige. Der von der Bundesregierung beschlossene Solardeckel, ein stockender Ausbau der Windenergie an Land. „Die Energiewende wird von innen ausgehöhlt. Die Konstruktionsfehler der Abhängigkeit holen uns ein“, sagt Krug und sieht das Land in einer „Tragik des Moments“. „Wir sind wie auf Entzug von unseren Abhängigkeiten und stürzen uns so in eine fossile Schnellreaktion“.

Gerade jetzt wäre es dringender denn je, alle fossilen Energien, die noch in der Erde sind, dort zu lassen. Vor allem aber längerfristig und mit Blick auf die maßgeblichen Probleme zu denken. Die sind für den Umweltaktivisten offensichtlich: Der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt. „Die dramatische Reichweite dieser Krisen ist noch nicht angemessen im Bewusstsein angekommen“, ist Krug überzeugt, „die Zeit des Prassens ist vorbei. Wir brauchen ein anderes Mindset.“ Die Klimakrise werde als Umweltkrise missverstanden. „Der Natur sind ein paar Grad mehr egal. Es ist ein Problem für uns Menschen, für unsere Zivilisation, ob wir noch in Städten leben können, die Nahrungsmittelversorgung gesichert ist, soziale Konflikte beherrschbar bleiben.“

Was also wäre zu tun? Der Greenpeace-Mann sieht Handlungsbedarf auf zwei Ebenen. Technisch und praktisch gehe es nicht um mehr Energieeffizienz, sondern um eine tatsächliche Reduktion des Energiebedarfs, um den massiven Ausbau der Erneuerbaren, auch mit Hilfe von ordnungsrechtlichen Eingriffen, um mehr Mobilität mit weniger Autos. Allerdings: Mit gelehrigen Diskussionen, Expertenwissen und wissenschaftlichen Studien allein sei all das nicht zu schaffen. „Nur Rationalität wird nicht zu den nötigen politischen Lösungen führen“, so die Einschätzung von Krug. Politik folge keiner rationalen Logik, sondern sei interessengeleitet und kurzfristig angelegt. Ebenso getrieben von Systemzwängen seien Bürokratie und die Wirtschaft. Profitmaximierung und Shareholdervalue gingen meist vor langfristiger Nachhaltigkeit.

Wie also dieses „blockierte System“ aufbrechen? Hier kommt für Krug die zweite Ebene und Greenpeace ins Spiel. „Wir müssen dieses System konfrontieren, provozieren. Greenpeace versucht bewusst öffentliche Konflikte herzustellen.“ Erst mit Emotionen wie Empörung, Wut und Angst kämen wirklich Debatten in Gang. Gerade in Deutschland würden oft Technologie-Diskurse geführt. Dies allein führe aber nicht weiter. „Ziviler Ungehorsam ist ein elementarer Teil einer Zivilgesellschaft, die wirklich grundlegende Veränderungen voranbringen will, zu denen Politik und Wirtschaft nicht im Stande sind,“ so der Referent.

Ein Land von Abhängigen, das vorherrschende Bewusstsein meilenweit von der realen Bedrohung entfernt – nach dem engagierten Vortrag des Greenpeace-Experten schien sich bei den rund 50 Besuchern der Studium-generale-Veranstaltung angeregte Betroffenheit breitzumachen. Eine kontroverse Diskussion folgte dem Vortrag, der mit tatkräftiger Unterstützung vom Rotary Club Nürtingen-Kirchheim/Teck mitorganisiert worden war.