Zwischen Winterschlaf und Vollgas

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Lars Steinhagen und Tobias Sorg (rechts) während der Video-Konferenz im Rahmen des Studium generale.

- Studium generale Vortrag an Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) nahm Thema Sanierung und Insolvenzmanagement in Zeiten von Corona unter die Lupe -

NÜRTINGEN. (hfwu)  Staatliche  Pandemie-Gelder sollten nicht dazu dienen, Unternehmen, die kein tragfähiges Geschäftsmodell haben, das Überleben zu sichern. Sind Betriebe in Schwierigkeiten, haben sie oft versäumt, sich auf lange bekannte, tiefergehende Herausforderungen einzustellen. Zu diesem Schluss kamen die Referenten bei einem Online-Vortrag zum Thema „Unternehmenssanierung nach Corona“ an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU).

Zwischen „Winterschlaf und Vollgas“ verorten Tobias Sorg und Lars Steinhagen Teile der deutschen Wirtschaft. Die Experten für Insolvenzmanagement und Unternehmenssanierung sehen zum einen, dass viele Betriebe ihre „Hausaufgaben“ nicht gemacht hätten. „Nach den Boom-Jahren war insbesondere im Automobilsektor und bei deren Zuliefererbetrieben abzusehen, dass es schwieriger wird“, sagt Sorg.

In den Köpfen der Unternehmer sei zwar schon in den Jahren vor Corona angekommen, dass große Herausforderungen anstehen: qualifizierte Mitarbeiter gewinnen, neue Märkte und Vertriebswege erschließen, Schritt halten mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Allerdings sei gerade bei Insolvenzfällen oft versäumt worden den nächsten Schritt zu gehen und dem entsprechend das Geschäftsmodell rundzuerneuern. Betriebliche Problemlösungsstrategien beschränkten sich dagegen oft darauf, an frisches Geld zu kommen. „Weg mit den Schulden und weitermachen wie vorher hilft als Strategie nicht – nicht vor und nicht nach Corona“, ist Sorg überzeugt.

Tobias Sorg  ist geschäftsführender Gesellschafter der auf Insolvenz und Restrukturierung spezialisierten Kanzlei dmp solutions. Sein Mitreferent beim Studium-generale-Vortrag an der HfWU, Lars Steinhagen, geschäftsführender Partner der Unternehmensberatung Beigel Petermann & Partner. Beide wurden für ihre Arbeit im Bereich „Restrukturierung Mittelstand“ mit dem Best of Consulting Award des Magazins Wirtschaftswoche ausgezeichnet.

 „Winterschlaf“ ist das Eine, es sei aber durchaus bei den Unternehmen auch die Strategie „Vollgas“ zu sehen gewesen. „In den Jahren 2018 und 2019 gab es ein schockartiges Erwachen, als dann viele wirklich die Zukunftsfrage gestellt haben“, so die Wahrnehmung von Steinhagen. In der Sanierung, so einer der Grundsätze der Restrukturierungsexperten, muss die Balance zwischen beidem stimmen, zwischen Winterschlaf und Vollgas, zwischen einer kurzfristigen Überlebensstrategie und einem langfristigen Zukunftskonzept. Für eine kurze Übergangszeit können ein Einfrieren von Marketing, Forschung und Entwicklung und von Neueinstellungen sowie das Einwerben von Hilfen und Kurzarbeitergeld das probate Mittel sein. Gleichzeitig müssten aber für die Langfristperspektive Investitionen, Digitalisierung, Werbung und neue Konzepte in den Blick genommen werden. Die Kunst für den Unternehmer respektive Sanierer ist, die Waage zwischen beiden Maßnahmenbündeln im Gleichgewicht zu gehalten. Für die Restrukturierungsfachmänner lautet dabei der Prüfungsgrundsatz immer: „Hat das Unternehmen ein Geschäftsmodell, das sich unabhängig von der aktuellen Pandemie trägt – oder halten wir mit Sondermaßnahmen ein ‚hirntotes‘ Unternehmen zulasten der Gesamtheit am Leben?“

Die naheliegende Annahme, wirtschaftliche schwierige Zeiten, seien gute Zeiten für Insolvenzverwalter, bestätigt Sorg nicht. „Schlechte Zeiten sind auch für Sanierer schlechte Zeiten, weil Lösungsoptionen wegfallen.“ Er verdeutlicht das an der Kaiser-Brauerei in Geislingen (Steige). Es sei schwierig gewesen, externe Investoren oder Käufer für die Geislinger Traditionsmarke zu gewinnen. Schließlich sei nur die Option geblieben, sich auf eine „echte Sanierung“ zu konzentrieren. So wurde mit strafferen Produktionsabläufen, niedrigeren Kosten und einer optimierten Logistik die Brauerei wieder auf Kurs gebracht.

Sorg und Steinhagen sehen für angeschlagene Unternehmen in der aktuellen Krise vor allem auch eine Chance. Jetzt bedürfe es noch mehr als sonst des Grundsatzes ehrlich zu sein: Der Unternehmer zu sich selbst und das Unternehmen gegenüber der Belegschaft. Gerade in schwierigen Phasen sei entscheidend, nicht die Augen vor den Problemen zu verschließen und klar zu beantworten, wo der Betrieb wirklich steht.