Unbekannte Wellnesser - Gesundheitstourismus-Tagung in Geislingen

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Die Studentinnen Kathrin Betsch (l.) und Sophie Lampé stellen im Rahmen der Gesundheits- und Tourismusmanagement-Tagung den GTM-Verein vor.

- Tagung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen befasste sich mit Forschung im Bereich Gesundheitstourismus -

NÜRTINGEN. (hfwu) Immer mehr Menschen verbringen im Urlaub nicht die schönste, sondern die gesündeste Zeit des Jahres. Welche Angebote sich der Gesundheitstourist tatsächlich wünscht, dazu fehlt es indes an fundiertem Wissen. Diese Thematik stand im Mittelpunkt eines Kongresses an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen (Steige).

Das Potenzial ist seit langem bekannt: Im Bereich Gesundheits- und Wellnessurlaub werden jährlich 30 Milliarden Euro umgesetzt. 400.000 Menschen arbeiten in dieser Branche. Kurorte und Heilbäder verzeichnen 30 Prozent aller Übernachtungen. Gesundheit boomt. Wie diese Nachfrage zustande kommt und wie sie geschaffen werden kann, darüber wissen allerdings selbst viele Experten wenig. Der Studiengang Gesundheits- und Tourismusmanagement an der HfWU nahm dies zum Anlass, die Forschung zum Thema seines diesjährigen Kongresses zu machen. „Wir postulieren seit langem das Informationsdefizit im Gesundheitstourismusmarkt“, so Studiendekan Prof. Dr. Horst Blumenstock. Er hatte zusammen mit dem Kollegen Prof. Dr. Dennis Hürten zu der Tagung nach Geislingen eingeladen.

Eine Forschungslücke attestiert auch Dr. Georg Christian Steckenbauer. „Gesundheitstourismus ist dann sinnvoll und legitim, wenn die medizinische Wirkung der Angebote eindeutig nachgewiesen ist“, so der Tourismus-Professor von der Fachhochschule Krems. Nur so könnten Wertschöpfungsketten entstehen, von denen eine ganze Region profitiert. „Nonsenstreatments bringen langfristig gar nichts“, so der Österreicher. Als Gegenbeispiel nannte Steckenbauer die Wasserfälle in Krimml. Deren heilende Wirkung bei Asthma- und Allergieerkrankungen sei wissenschaftlich nachgewiesen. Bei der Zielgruppe sei dies sehr schnell positiv aufgenommen worden. Seit der Ort damit Werbung mache, seien die Übernachtungen in Kimml um dreißig Prozent gestiegen.

Ebenfalls chronisch Kranke nimmt Dr. Kai-Torsten Illing mit einem groß angelegten Forschungsprojekt in den Blick. „Es gibt Gebeutelte, Zweckoptimisten, Macher und Haltsuchende“, kategorisierte der Professor aus Graz die verschiedenen Strategien wie Betroffene ihre Situation bewältigen. Gesundheitstouristische Angebote sollten sich insbesondere an diejenigen richten, die ihre Krankheit als Herausforderung sehen. Diese seien bereit, aktiv etwas zur Besserung beizutragen und so offener für Angebote.

Ob Wasserfalltherapie oder Wellness-Paket für den Zweckoptimisten: Den Heilserwartungen manch wirtschaftlich darbender Region via Gesundheitstourismus erteilte Prof. Dr. Martin Lohmann von Kieler Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) eine deutliche Absage. „Mit Rückgängen ist nicht nur beim allgemeinen Gesundheitsurlaub zu rechnen, sondern auch bei der Kur im Urlaub und beim Fitnessurlaub“, so der Marktforscher. Gründe dafür sieht Lohmann im hart umkämpften Markt, vielen alternativen Urlaubsangeboten und den wachsenden Anspruch der Kunden. Zudem führe eine immer stärker alternde Gesellschaft nicht automatisch zu mehr Nachfrage nach Gesundheitsurlaub. Nach seiner Einschätzung ist der demographische Höhepunkt mit ebenso zahlenstarken wie zahlungskräftigen älteren Menschen bereits überschritten. Und nicht zuletzt sollte die Grundhaltung der meisten Menschen nicht außer Acht gelassen werden, so der studierte Philosoph: „Dass wir etwas tun, nur und ausschließlich weil es gesund ist, ist eher die Ausnahme.“

Zurück zum engeren Thema der Tagung führte Dr. Anja Brittner-Widmann. Die Professorin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg riet dazu, schärfer zu differenzieren und nahm unter anderem den Begriff „Wellness“ in den Schwitzkasten der Wissenschaft. In der Forschung sei der Begriff nicht allgemein akzeptiert. Unklar sei, ob Wellness-Tourismus überhaupt zum Gesundheitstourismus zu zählen sei, denn beim einen stündige das Wohlfühlen, beim anderen die medizinische Indikation im Vordergrund. Dr. Dennis Hürten führte mit seinem Referat die Frage nach dem Forschungsdesign weiter. Der HfWU-Professor stellte die Konzeption eines neuen Forschungsprojekts an der Hochschule vor, das den Gesundheitstourismus deutscher Reisender unter die Lupe nimmt. Einen wunden Punkt, den auch das Forschungsprojekt diagnostiziert und in dem sich alle Referenten einig waren: Es fehlt an maßgeschneiderten Angeboten, um Nachfrage und Angebot unter einen Hut zu bringen – und damit das enorme ökonomische Potenzial des Gesundheitstourismus tatsächlich auszuschöpfen.  

Udo Renner, 20.11.2015