Spiegelbild Kulturerbe

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Was betrachten wir warum als Kulturerbe? Der Kulturanthropologe Prof. Dr. Markus Tauschek gab an der HfWU in Geislingen Antworten.

- Kulturanthropologe sprach im Studium generale der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) über Weltkulturerbe -

NÜRTINGEN. (hfwu) Eine Kathedrale, eine Landschaft oder einen Brauch als Weltkulturerbe auszuzeichnen bedeutet mehr als nur den Schutz dieser Güter. Damit verbunden ist ein Spiegelbild der Gesellschaft – und die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung. Um solche Deutungen des Kulturerbes ging es bei einem Vortrag im Rahmen des Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen.

Das Wort Denkmalpflege klingt seiner Bedeutung gemäß etwas angestaubt. Es verweist auf eine hierzulande bereits seit dem 19. Jahrhundert bestehende Tradition. Erst seit den 70er-Jahren vergibt die Unesco dagegen die Auszeichnung des Weltkulturerbes. Damit hat ein Wandel der Wahrnehmung vom Denkmal zum Kulturgut stattgefunden. Darauf verwies Prof. Dr. Markus Tauschek im Rahmen seines Vortrags vor rund 20 Zuhörern an der HfWU in Geislingen. Auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kulturerbe sei inzwischen immens, so der Kulturanthropologe. Die Denkmalpflege habe nicht nur in Deutschland einen hohen Stellenwert. Sie liegt mit genau definierten Regelungen in der Verantwortlichkeit der Bundesländer. Damit, so Tauschek, zeige sich auch die politische Dimension und die Gefahr, dass die Politik das Kulturerbe instrumentalisiere.

Keineswegs gelte, wie das Beispiel Dresden zeigt, „einmal Kulturerbe, immer Kulturerbe“. Weil die Stadt trotz Mahnungen den Bau der umstrittenen Waldschlösschenbrücke vorantrieb, hat die Unesco den Status aberkannt. Für Tauschek ein Anlass zu fragen, warum wir überhaupt Dinge als kulturell wichtig erachten und was wir mit der Beantwortung dieser Frage über unsere Gesellschaft erfahren. In unserer Zeit, die allenthalben von Beschleunigung und materiellem Überfluss gekennzeichnet ist, komme dem Kulturgut eine besondere Funktion zu. Es kann als Gegenentwurf zur Konsum- und Wegwerfgesellschaft verstanden werden. Und es schafft in einer Welt, die von Umbrüchen und schwindenden Sicherheiten geprägt ist, Orientierung und eine kollektive Identität. Letzteres zeige sich beispielhaft am Kölner Dom oder dem Schloss Neuschwanstein.

Relativ neu ist, dass die Unesco neben Schlössern, Industrieanlagen und Landschaften auch Rituale, Feierlichkeiten oder Handwerkstechniken völkerrechtlich unter Schutz stellt. Als erstes solches immaterielles Kulturgut hat die UN-Kulturorganisation vor wenigen Jahren das deutsche Genossenschaftswesen ausgezeichnet. Ein Grund, warum sich die Unesco lange schwertat, Deutschland ein Kulturerbe zuzusprechen, ist nach Auffassung von Tauschek historisch, in der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands begründet.

Heute gelte, so der Wissenschaftler, „erst wenn Kultur zum Sprechen gebracht wird, ist es Kulturerbe.“ Kulturerbe ist für Tauschek ein Konstrukt, es wird hergestellt. Darum würden Kulturdenkmäler auch immer wieder zum politischen Sprengstoff – und werden so nicht erhalten sondern gezielt zerstört, wie bei den Buddha-Statuen im irakischen Palmyra geschehen. Den aktuellen Austritt der USA und von Israel aus der Unesco sieht der Welterbeforscher vor diesem Hintergrund. Die Mitgliedschaft in einer international legitimierten Organisation stehe dem nationalen Interesse entgegen, das eigene Kulturerbe politisch zu instrumentalisieren.