Mit allen fünf Sinnen einkaufen statt online shoppen

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Klaus Striebich

- Retail-Experte Klaus Striebich an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen (Steige) -

NÜRTINGEN (hfwu). Der klassische stationäre Handel gerät durch Online-Shops gehörig unter Druck. Welche Antworten zukunftsversprechend sind und welche Chance möglicherweise freiwerdende Flächen bieten, dies erläuterte der Retail-Experte Klaus Striebich, Inhaber von RaRE Advise - Retail and Real Estate, an der HfWU in Geislingen (Steige) im Rahmen der Vortragsreihe „Immobilienmarketing und Maklerwesen“ von HfWU-Professor Dr. Stephan Kippes.

„Weitreichende Auswirkungen auf die Innenstädte" sieht Prof. Kippes, „soweit es im Gefolge einer Karstadt und Kaufhof-Fusion zu einer Standort-Bereinigung kommt“. Mit diesem Implus zum Vortrag von Klaus Striebich ging die Vortragsreihe „Immobilienmarketing und Maklerwesen“ an der HfWU in eine neue Runde. Speziell für gefragte Fußgängerzonenlagen sei eine Option, so Kippes, die Gebäude kleinteilig zu vermieten. Hauptproblem ist allerdings die Vermietung der Obergeschosse, da es hier sehr schwer sei, die Lauffrequenz der Fußgängerzone in diese traditionell weniger besuchten Flächen zu leiten. "Hier wird, die Luft im wahrsten Sinne des Wortes sehr dünn.“

Der Online-Handel scheint den klassischen stationären Handel vor sich her zu treiben, so der Befund des Immobilienmarketing-Professors. Die Antwort, wie der klassische stationäre Handel seine Wettbewerbsposition verbessern kann, liegt für Klaus Striebich auf der Hand: „Der stationäre Handel kann sich hier sehr wohl behaupten, in dem er sich auf menschliche Eigenschaften und Wünsche konzentriert. Der Mensch, der Kunde, lebt und erlebt seinen Alltag und Einkauf am liebsten mit allen fünf Sinnen“, so der Immobilienexperte und Unternehmensberater. Der Online-Verkauf könne nur zwei Sinne ansprechen, sehen und hören. Konzentriere sich der stationäre Handel mit seinen Aktivitäten zusätzlich auf die anderen drei Sinne könne er diesen Vorteil ausspielen. „Zudem gibt es ein ‚will-haben‘-Gen der Menschen“, ist sich Striebich sicher. Sehe der Mensch etwas Neues, Überraschendes, dann möchte er es auch genau zum gleichen Zeitpunkt haben. „Da reicht selbst eine „Ein-Stunden-Lieferung“ nicht mehr aus“. Fokussiert und inszeniert der stationäre Handel mit Blick auf die zusätzlichen Sinne alle seine Möglichkeiten, ist das mehr als eine Daseinsberechtigung für die Zukunft, so die Prognose von Striebich.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Turbulenzen bei C&A und H&M konstatiert der Retail-Experte: „Man kann dem erhöhten Wettbewerbsdruck nur durch eine aufwändige Innovationsintensität – man spricht mittlerweile im Handel mehr von „Ideen pro qm“ – höchster Geschwindigkeit der Umsetzung von neuen Ideen und Detailtiefe begegnen. Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen überholen die Langsamen.“ Mit den aktuellen Entwicklungen, wenn möglicherweise große Ketten ihre Filialen schließen oder jetzt wo Karstadt und Kaufhof fusionieren, geraten auch die Warenhäuser in Zugzwang. „Es ist nicht auszuschließen, dass die Welle der Veränderungen in der Warenhauslandschaft in den nächsten Monaten Nahrung bekommt und sich der Prozess der Marktanpassung beschleunigt“, so die Einschätzung von Striebich. Er sieht dies als Chance, sich mit allen Facetten den Marktbedingungen und Kundenbedürfnissen anzupassen. „Das kann und wird auch mit Schließungen einhergehen.“ Dafür werde es aber wieder Platz für neue Entwicklungen geben.

Neue Konzepte könnten auf den freiwerdenden Flächen Platz finden und neue Nutzungen in die Innenstädte und Fußgängerzonen Einzug finden. Für die Immobilienbranche könne das zu einer enormen Chance und Herausforderung werden. Für Striebich entscheidend ist, mit welcher Kreativität, Mut und Innovationsfreudigkeit diese Projekte angegangen werden. „Vielleicht schafft man es auch mit Fingerspitzengefühl die ohne Zweifel notwendige Veränderung zu starten, nicht alle Flächen und Angebote gleichzeitig auf den Markt zu werfen und mit Sachverstand und politischem Geschick auf Angebot und Nachfrage zu reagieren.“

Striebich rät Investoren mit Blick auf mögliche Leerstände, kürzere Mietlaufzeiten und steigende Risiken schlicht zu einer unternehmerischen Haltung. „Wechsel in den Nutzungen und dadurch auch einmal Leerstand werden an der Tagesordnung sein, je nach Marktlage werden auch Mietvertragslaufzeiten stärker hinterfragt und ‚risk-share‘-Modelle zur Normalität werden. Dieses ist mit anderen Termini allerdings in jeder anderen Branche, die sehr vertriebsorientiert ist, Standard und nichts Ungewöhnliches mehr. Es werden also Vertriebs- und Marketingfragen zu lösen sein. Auf individuelle Marktthemen muss individuell, innovativ und kreativ reagiert werden. Die Produktlebenszyklen der Immobilien werden sich verändern und natürlich auch kürzer werden.“ Um dies alles lösen und umsetzen zu können bedürfe es viel Erfahrung und Wissen. Es müsse in die Ausbildung und Mitarbeiter, aber auch Systeme investiert werden, um das in einem immer enger werdenden Markt leisten zu können. Klaus Striebichs Fazit: „Es wird jetzt richtig spannend werden“.