Megatrends: Fluch oder Segen?

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- Immobilienanalyst Dr. Thomas Beyerle sprach an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen -

NÜRTINGEN (hfwu). Eher tröge Vermögensgegenstände und lange Investitionszeiten – als Trendsetter von Megatrends gelten Immobilien gemeinhin nicht. Aber auch in der Immobilienbranche spielen langfristige Veränderungen eine zentrale Rolle. Warum dies so ist, erläuterte Dr. Thomas Beyerle im Rahmen der Vortragsreihe „Immobilienmarketing und Maklerwesen“ an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Immobilienmarketing und Maklerwesen“ von HfWU-Professor Dr. Stephan Kippes.

„Megatrends sind die großen Brüder der Mode, also einer zyklisch widerkehrenden Erscheinung. Sie beschreiben die großen, langfristig wirkenden Treiber des Wandels bzw. der Veränderung – auch und gerade in der Immobilienwirtschaft“, so Dr. Thomas Beyerle, Managing Director bei der Frankfurter Catella Property Valuation GmbH. Megatrends wirken plakativ, zum anderen seien sie damit vermeintlich leicht anzuwenden und passten immer. Denn 95 Prozent der Veränderungen am Immobilienmarkt sind vorhersehbar und damit letztlich planbar, schätzt Beyerle. Diese langfristigen, übergreifenden Änderungen seien daher nicht zu verwechseln mit der oftmals geäußerten und als bedrohlich empfundenen Zyklizität der Immobilienmärkte. Diese beziehe sich auf wenige Indikatoren wie Mieten oder Umsätze und führe regelmäßig zur Blasendiskussion und zu Überallokationen oder Unterdeckung. „Das ist per se nichts Schlechtes an einem Gütermarkt, aber aufgrund der trägen Reaktionszeit an den Immobilienmärkten für Investoren unerfreulich und im Falle von Wohnungen gesellschaftlich schwer zu vermitteln.“

Bleibt die Frage, warum Analysten dennoch immer wieder systematische Fehler und krasse Fehlleistungen unterlaufen. „Wir Menschen sind in unseren Zukunftserwartungen strukturell auf Linearität geeicht“, ist Beyerle überzeugt. „Aber wo gibt es diese schon? Entweder tritt ein Ereignis ‚viel‘ zu früh oder ‚viel‘ zu spät ein.“ Der so genannte Rebound Effekt, also Effizienzsteigerungen auf der einen, dafür aber exponentielle Steigerungen auf der anderen Seite, die die Effizienzsteigerungen wieder wettmachen, sorgten für eine Verstärkung der Entwicklung – wie man aktuell in enormen Preissteigerungen im Luxussegment messen könne.

Deshalb sollte es nach Einschätzung von Beyerle für Analysten immer eine Maßgabe ihres Handelns geben: So wie ein Autofahrer sein Fahrzeug nicht durch den Blick in den Rückspiegel nach vorne lenken kann, lasse sich die Zukunft nicht aus der Vergangenheit ablesen. Gerade dies sei aber eine beliebte Technik bei vielen Aktienanalysten. „Die Problemlösung, die uns umtreibt, beginnt immer mit der Frage: Können Sie sich vorstellen, dass...? in Kombination mit der Fähigkeit zur Kreativität dieses Vorstellen auch operativ umzusetzen. Und hier helfen Megatrends ungemein, da sie einen Korridor verschiedener Entwicklungen und Szenarien vorgeben.“ Aber treffen damit nicht fast alle Prognosen irgendwie zu? „Richtig“, sagt der Immobilienanalyst. Denn der Korridor in welchem wir uns bewegen sei definitiv planbar. Die Krux sei die Umsetzung der Konsequenzen. Im Tagesgeschäft fänden sich oftmals stilechte Blüten aus der Rubrik Scheinkorrelation: Nur weil es immer mehr Ältere Menschen gibt, steigt nicht linear die Nachfrage nach Seniorenimmobilien. Nur weil die allermeisten Fensterrahmen aktuell bei Neubauten in Anthrazit verbaut werden, kann es auch weiße geben. Hinzu komme die Unfreiheit des Marktes, die Eingriffsmöglichkeiten – im Guten wie im Schlechten – des Staates und seiner Akteure. Die Verantwortung der Analysten sei es gerade, diese Megatrends auf der Marktebene operativ umzusetzen. „Nur so schaffen sie stabilisierte Märkte und leisten der Markttransparenz Vorschub“, betont Beyerle.

Allerdings ist diese Transparenz nach Branchenaussagen eindeutig besser geworden in den letzten Jahren – trotzdem gibt es wieder die Blasendiskussion an den Wohnungsmärkten. „Der Transparenzanstieg hat uns in der Breite einen enormen Vorteil verschafft. In der Tiefenanalyse verharren wir hier aber noch auf einem eher stabilen Status Quo. Es ist in der Tat zunehmend schwieriger im Prognose-, Umfrage- und ‚Sentimentwald‘ noch den Kern der Erkenntnis zu erkennen.“ Ergebnisse verflüchtigten sich zusehend, weil sie immer schneller durch neue ersetzt werden. „Tiefer graben geht nur mit strukturellen Analysen bzw. Datenerfassung wie z.B. einer Volkszählung oder einer Transaktionsdatenbank mit allen wesentlichen Informationen. Wenn immer mehr dazu übergehen, uns mit allen Sentiments und Indices wöchentlich zu konfrontieren, haben wir genau das Problem mit dem Wald und den Bäumen. Oder um es klarer auszudrücken: Das ist dann eine Scheintransparenz, weil den Ergebnissen ein hohes Maß an Interpretationsspielraum zulassen und im Endergebnis kein Ergebnis liefern“, erklärt Beyerle.

Als wichtigsten Megatrend sieht der Immobilienexperte eine Entwicklung, die alle Marktteilnehmer seit mindestens 20 Jahren kennen: den demographischen Wandel. Er verändere mehr als die technischen Innovationen im Zeitverlauf die Gesellschaft und damit auch die Immobilienwirtschaft und ihre Güter. Nach Auffassung von Beyerle kam die seit Jahren bestaunte Re-Urbanisierung keineswegs aus dem Nichts. Das Zurück in die Städte und das Beharren in den Städten – generationenübergreifend – werde die Stadtstrukturen auch in den kommenden 20 Jahren massiv verändern. „Die Hilflosigkeit der Politik und der Öffentlichkeit daraus die strukturellen Weichen zu stellen sieht man exemplarisch an der so genannten Mietpreisbremse. Von Bürgerbegehren gegen Infrastrukturprojekte ganz zu schweigen.“ Und so komme es, dass der globale Megatrend „Menschen wohnen zukünftig in Städten“ in Deutschland im Kleinen ad absurdum geführt werde. Thomas Beyerle: „Einem Megatrend entkommt letztlich keiner am Markt.“