Interview mit Professor Vijaya Bhaskar Marisetty: Die Zeit hier war einmalig

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Vijay Marisetty erlebte eine prägende Zeit an der HfWU.

Die Nürtinger Kreuzkirche: Eines der Bilder Marisetties, das noch bis 07. August in der Ausstellung in der Nürtinger KReissparkasse zu sehen ist.

Vijaya Marisetty ist „Associate Professor“ für Finanzwirtschaft an der australischen RMIT University in Melbourne. Seit März lehrte er als Gastprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) im Rahmen der „Visiting Professorship“. Diese Gastprofessur für Dozenten der internationalen Partner der HfWU wird seit 2013 von der Bildungsstiftung der Kreissparkasse finanziert. Zusammen mit seiner Frau und seiner 11-jährigen Tochter erlebte er in Nürtingen und an seinem Wohnort Wendlingen eine Gastfreundschaft, die er sein Leben lang nicht vergessen wird. Inzwischen ist die Familie zurück auf dem Weg nach Australien. Der begeisterte Fotograf und Maler hinterlässt derweil eine Ausstellung mit eigenen Bildern. Die Bilder sind unter dem Titel „Postcards of a Visitor“ bis 7. August in der Kreissparkasse in Nürtingen zu sehen.

Zwei Tage vor Ihrer Abreise eröffneten Sie noch die Ausstellung Ihrer Bilder. Wie ist es denn gelaufen?

Es war erstaunlich. Ich habe in der Kreissparkasse 44 Bilder und Fotos, darunter auch einige meiner Tochter, ausgestellt. Noch am Abend der Eröffnung war rund die Hälfte der Bilder verkauft.

Fast alle Bilder zeigen Motive aus und um Nürtingen. 40 Bilder in fünf Monaten und das neben Ihrer Professur. Die Stadt muss sie beeindruckt haben.

Stimmt. Die Gastfreundschaft und die Offenheit gegenüber uns waren überwältigend. Ich wollte den Menschen und der Stadt etwas zurückgeben. Viele Motive in Nürtingen haben mich inspiriert: Die Tasse Tee im Café Zimmermann, die Schwäne im Neckar oder die Kreuzkirche. Daher die Ausstellung mit den „Postcards of a Visitor“. Den Erlös aus dem Verkauf der Bilder bekommt die Kinderkulturwerkstatt.

Es kommt nicht häufig vor, dass sich ein Wissenschaftler aus Australien für Deutschland entscheidet und Nürtingen mit Melbourne tauscht. Wie kam es dazu?

Ich stamme ja ursprünglich aus Indien und arbeite als Wissenschaftler in Australien. Beide Länder sind ehemalige britische Kolonien und in beiden Ländern tragen die meisten Menschen eine britische Brille auf der Nase, durch die sie auf Europa blicken. Mir war dies zu einseitig. Ich hatte schon immer eine gewisse Faszination für Deutschland.

Wie waren Ihre Erwartungen, hatten Sie ein bestimmtes Bild im Kopf?

Nein, kein bestimmtes Bild aber Erwartungen schon. Das ist vor allem durch mein Kunstinteresse geprägt und meine Liebe zu Albrecht Dürer. Ich wollte meinen Aufenthalt nutzen, um sein Werk mehr zu verstehen und um noch mehr Kunst aus seiner Zeit zu sehen.

Als Sie dann in Nürtingen ankamen gab es keinen Kulturschock?

Nein, im Gegenteil. Ich stamme aus einer kleinen Stadt in der Gegend von Bangalore. Ich habe auch einige Zeit in China in einer kleineren Stadt gelebt. Kleinere Städte haben oft eine ähnliche Kultur, selbst wenn die Traditionen völlig unterschiedlich sind.

Sie fühlten sich hier von Beginn an wohl?

Absolut. Alle Menschen, auf die wir trafen, wollten, dass wir positive Erfahrungen aus Deutschland mitnehmen. Ob dies mein Vermieter in Wendlingen war, der Mann bei Deininger, von denen ich ein Auto hatte, oder die Mitschüler meiner Tochter. Ich werde das mein Leben nicht vergessen. Und Carola Staib, vom International Office an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, gehört nun zu unserer Familie. Verglichen mit Australien, ist die soziale Intelligenz hier viel höher. Meiner Tochter, diesem australischen Mädchen mit indischen Wurzeln, begegneten die Mitschüler von Beginn an mit Augenkontakt. Das kennen wir nicht aus Melbourne.

Welche Erfahrungen machte denn Ihre Familie?

Wir dachten zunächst, dass meine Tochter, trotz des 4-wöchigen Sprachkurses im Vorfeld, ein Jahr in der Schule verlieren wird. Vielleicht wird das auch so sein. Aber: Alles was sie an der Ludwig-Uhland Schule in Geographie, Kunst, Geschichte und Kultur lernte, wiegt dies mehr als auf. Sie spricht schon Schwäbisch. Die Lehrer waren schlicht exzellent. Meine Frau musste die Einreichungsfrist einer wissenschaftlichen Arbeit verschieben. Dafür war sie auch als Gast in die Vorlesungen an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt eingebunden und lehrte dort Management und Finanzen. Sie brachte ihre Sicht der Dinge ein und sprach mit ihren deutschen Kollegen an der HfWU über deren Lehre. Wir haben alle drei sehr viel gelernt.

Trotz ihrer Partneruniversitäten in Australien finden nur wenige Studierende von dort den Weg an die HfWU.

Das liegt schlicht daran, dass nur wenige Australier Deutschland im Blick haben. Dieses Phänomen habe ich oben schon erwähnt. Dabei könnten australische Studierende enorm von der HfWU profitieren. Diese Hochschule bietet ein komplettes Paket. Eine individuelle Betreuung, kleine Gruppen, Vorlesungen in Englisch und eine internationale Studierendengemeinschaft mit Studenten aus allen Herren Länder. Und dazu werden die internationalen Studierenden in Sozialprojekte in Nürtingen integriert. Das gibt es in Melbourne nicht.

Wie beurteilen Sie den Studienbetrieb an der HfWU?

Ich mag die internationale Atmosphäre in den Vorlesungen. Vor allem die internationalen Studierenden waren sehr interessiert. Die deutschen Studierenden sind dagegen viel kritischer. Wenn sie ein Stoff nicht interessiert, bleiben sie einfach weg. Ich sehe das nicht negativ. Das deutsche Hochschulsystem hat sich bewährt, es ist sehr liberal, verleiht Freiheit und verlangt aber auch eine große Verantwortung von den Studierenden. Das angelsächsische Hochschulwesen, und auch das Studium in vielen asiatischen Ländern, ist da viel strenger. Ob es dadurch auch besser ist, ist die Frage. Wenn ich mir Deutschlands Erfolg anschaue, kann das deutsche System zumindest nicht schlechter sein.

Solange Sie hier waren, wurden Sie Zeuge einer der größten der Krisen der EU. Wie wird dies in Australien wahrgenommen?

Dort interessiert man sich nur dafür, was dies für Auswirkungen auf die Zinsen hat. Sollten in Europa wegen der Griechenlandkrise die Zinsen steigen, könnte dies internationale Investoren aus Australien abziehen, die sich dort wegen der höheren Zinsen engagieren.

Das heißt, die politische Rolle der EU spielt dort keine Rolle?

Weniger in Australien als in Südostasien. Dort war die europäische Vereinigung lange Zeit auch ein politisches Modell, ein Vorbild für so manche Region. Dies wird nun hinterfragt und genau beobachtet. Im Moment überlegen sich Indien und China eine Art Wirtschaftsunion nach europäischem Muster. Von einer politischen Union, wie in Europa, ist man dort und in andern Teilen des Kontinents noch weit entfernt. Das liegt auch zum einen am Bildungsgrad zum anderen daran, dass es andere Probleme gibt, die eine größere Bedeutung haben. Man zeigt Respekt vor dem europäischen Integrationsmodell, aber strebt allenfalls nach einer Art EU für die asiatischen Märkte.

Wie zeigt sich für Sie als Ökonom gegenwärtig die EU?

Nach wie vor positiv und faszinierend. Trotzdem zeigt das Beispiel Griechenlands auch das Dilemma der Union: In der Zentrale in Brüssel, in den Schlüsselpositionen der Kommission, weiß man schlicht zu wenig über die verschiedenen Regionen. Mein Eindruck ist, dass dort viele Finanzexperten durch das britische Bankenwesen geprägt sind, das ausschließlich liberalen Markt- und Wettbewerbsprinzipen folgt. Vergleicht man damit zum Beispiel das deutsche Sparkassenwesen, öffentliche Banken, lokal verankert und mit einem klaren gesellschaftlichen Auftrag, dann passt dies kaum zusammen.

Zurück zu Ihrer Person. Welche Rolle spielt für Sie Kunst, neben der Wissenschaft?

Kunst ist rein und komplett. Durch Kunst kann ich besser beobachten und mich besser ausdrücken. Ich weiß genau, wie viele Menschen ich mit meiner Kunst erreiche. In Bezug auf meine wissenschaftliche Arbeit weiß ich das nicht. Es gibt zwischen Wissenschaft und Kunst eine Lücke, sich auszudrücken. Wenn ich diese Lücke schließen kann, werde ich hoffentlich ein besserer Wissenschaftler.

Hat Ihnen dabei der Aufenthalt in Nürtingen geholfen?

Ja, natürlich! Sehr, sehr viel!