Für Stadt und Denken neue Räume öffnen

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HfWU-Professor und Organisator der Tagung, Dr. Oliver Frey, begrüßt die Teilnehmer der Stadtplanungstagung.

- Fachtagung wirft Blick in die Zukunft der Stadtplanung -

NÜRTINGEN (hwu). Stadt- und Raumplanung ist seit jeher vorausschauend angelegt. Wie die Disziplin diesem Anspruch in einer Zeit gerecht werden kann, in der zukünftige Entwicklungen immer schwerer vorhersehbar sind, darauf gab eine Fachtagung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen Antworten.

Anlass des Kongresses war das zwanzigjährige Jubiläum des HfWU-Studiengangs Stadtplanung. Zu der eintägigen Feierveranstaltung waren über hundert Vertreter aus Wissenschaft und Forschung, der Planungspraxis, von Kommunen und zahlreiche Studierende gekommen.

Darin waren sich die Referenten der Tagung einig: Eine Stadtplanung, die künftigen gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht wird, muss Räume öffnen – vor allem in den Köpfen. Das heißt im Besonderen, gesellschaftliche Veränderungen mitzudenken. Dies setzt voraus, die Akteure und Betroffenen dieser Prozesse zu kennen und den Austausch mit ihnen zu suchen. Ein Ort, der dies möglich macht ist das Futurlab. Das aus mehreren Containern variable zusammensetzbare und mobile „Reallabor“ ist baulich und im übertragenen Sinn nach allen Seiten offen. „Es ist eine gebaute Einladung, ein Ort des Austauschs, des gegenseitigen Lernens“, so Teresa-Elisa Morandini von der TU Wien. Die Architektin stellte verschiedene, in der Praxis erprobte Einsatzmöglichkeiten des Futurlabs vor. Da sie überall aufgestellt werden können, wirken sie wie eine Schnittstelle zwischen Hochschule und Stadt – der Gegenentwurf zum akademischen Elfenbeinturm.

Jens Dangschat geht noch einen Schritt weiter. Auf die fundamentalen Herausforderungen einer neuen Gesellschaft müsse die Stadtplanung nicht nur dadurch reagieren, neue (Denk-)Räume zu öffnen. „Es geht auch um Nicht-Planung, darum, planungsfreie Räume zu schaffen in denen Planung sich organisch entwickelt und wächst“, so der emeritierte Professor der TU-Wien. In seinem engagiert vorgetragenen Referat legte er eine besorgte Zeitdiagnose vor. Zum Befund des Soziologen gehören eine „extrem gefährdete Demokratie“, unterschätzte Auswirkungen des Klimawandels und eine Weltwirtschaftsordnung zu Lasten des globalen Südens. Der Fortschritt, sofern man das so nennen könne, sei in erster Linie technologisch und damit von den großen Tech-Konzernen getrieben. Gleichzeitig bleibe völlig unklar, wohin Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz die Gesellschaft führten. „Und wie reagieren die Menschen auf diesen unglaublich schnellen Wandel? Sie ziehen sich in immer kleinere Gruppen zurück und blenden die großen Zusammenhänge aus.“ Sein Fazit: Raumplanung ist heute nicht mehr in der Lage, ein konsistentes, mehrheitlich getragenes Planungsziel vorzugeben.

Ganz neue Möglichkeiten mit diesem Umstand umzugehen sieht der Smart-City-Macher Mirko Ross. „Die normative Kontrolle ist ein wichtiger Aspekt, um die Stadtgesellschaft zusammenzuhalten“, ist der Geschäftsführer der digital worx GmbH überzeugt. Zudem könne moderne Technologie in der Stadt von morgen für ein effizienteres Energie- oder Abfallmanagement und eine erhöhte Sicherheit eingesetzt werden. Die Technologie ist dabei für Behörden wie für Bürger nutzbar. „Überwachungstechnik kann Überwachungstechnik überwachen“, betonte Ross und nannte als Beispiel das Air-Rohr. Das Feinstaub-Messgerät für 35 Euro zum Selberbauen haben junge Stuttgarter Tüftler entwickelt. Mit ihm kann jeder Bürger vor seiner Haustür die Luftbelastung messen und die Daten an eine unabhängige Plattform zur Veröffentlichung weitergeben. „Damit ist die digitale Herrschaft der Stadt über die Daten gebrochen und es kann entsprechend politischer Druck ausgeübt werden“, so Ross.

Für Prof. Dr. Peter Ache geht eine solche Zukunft einer Smart City, die im Grunde Bestehendes nur weiterentwickelt, noch nicht weit genug. „Es geht auch darum, Dinge völlig anders, entgegengesetzt zum Alten, zu denken“, so der Planungsexperte von der niederländischen Radboud Universität. „Utopien zu entwickeln ist ein Akt grenzüberschreitenden Denkens“, zitierte er den Philosophen Ernst Bloch. Denn, so Ache, „die Ideen, die Entwicklungen treiben, sind viel wichtiger als das, was tatsächlich gebaut wird.“ Heute seien es insbesondere globale und digitale Prozesse in denen die traditionelle Stadt verschwinde. Gerade weil es so unvorstellbar sei, wohin diese Entwicklung führt, sei es umso wichtiger, sich mit utopischen Alternativen zu befassen.

Nach dem Blick in die Zukunft der Stadtplanung stand am Nachmittag der Rückblick auf die vergangenen zwanzig Jahre des Studiengangs im Mittelpunkt. Eine Podiumsdiskussion mit Planungsaktiven aus Stadt und Region warf zum Abschluss der Tagung einen Blick auf die künftigen Herausforderungen des Fachs in Praxis und Ausbildung.