Die Stadtplanung ist laut Conradi die Disziplin, die sich vor allem auch mit gesellschaftlichen und politischen Fragen auseinandersetzen muß. Die architektonische Seite dieser Fachrichtung nahm in seiner Betrachtung eine sekundäre Bedeutung ein. Die Stadtplanung ist in Conradis Sicht kein Selbstzweck, sondern eher eine Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen. Conradi nannte diese beim Namen: Die Einwohnerzahlen der großen Städte sinken, die Bewohner ziehen auf´s Land. Singles bestimmten die Bevölkerungsstruktur der Städte und Familien stünden dagegen "auf der roten Liste der bedrohten Arten. Die Arbeitszeiten nehmen ab und die Art der Arbeit verändet sich. Mehr Teilzeit- und Heimarbeit ist eine Folge der neuen kommunikationstechnologien und die Wirtschaft wächst langsamer. Die Stadtplanung muss auf diese Entwicklungen reagieren, doch gerade darin liegt laut Conradi auch ihr Versäumnis. Nur wenig habe die Architektur auf die geänderten Familienstrukturen reagiert. Im Gegenteil müssten die Stadtplanung und Architektur die Vielfalt der heutigen Lebensformen bejahen, nicht nur auf den Neubau setzen und Großssiedlungen vermeiden.
Conradi brach eine Lanze für die Altbauten. Es seien nicht die Neubauten, die die Ansprüche der Nutzer optimal erfüllten. Eine Vielzahl junger Existenzgründer mieten sich heute ihre Gewerbeflächen absichtlich in alten Industriegebäuden und oft sei eine vierköpfige Famile in einer großzügigen Altbauwohnung besser aufgehoben als in einem "passgenauen" Dreizimmerneubau.
Die Stadt von heute lebt wie früher vom Miteinander von Arbeiten und Wohnen, von Handel und Handwerk, Bildung und Kultur. Peter Conradi machte keinen Hehl aus seiner, er benutzte diesen Ausdruck, "altmodischen" Ansicht, nach der sich Städtisches durch Vielfalt auszeichnet. Damit verknüpfte Conradi seine Ablehnung der neuen Zentren, die als Einkaufs-, Kultur- oder Unterhaltungszentren oft auf der grünen Wiese oder auch in den Städten entstehen. Übel sähen oft die Stadtränder aus, es seien oft trostlose Ansammlungen von Autohandel, Möbelhallen und Baumärkten. Nicht anders sähe es in den grossen Wohnsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus aus: Städtische Elemente fehlten hier völlig, statt dessen dominiere eine Architektur der Vernachlässigung und der Lieblosigkeit.
Einmischung ist nach Conradi das Gebot der Stunde. Architekturkritik die erst einsetzt, wenn ein Bau fertiggestellt ist, verfehlt ihre Wirkung. Eine Stadt sei ein Ort des Zusammenlebens. Schon deshalb gelte es, Diskussionen in eine Stadt einzubringen bevor ein Bebauungsplan aufgestellt werde und ein Bau beginnt. In vielen Städten seien es die Investoren, nicht die Kommune, die entschieden, was wo gebaut werde. Anonyme Investoren, die an Rendite und weniger an architektonischen Stilbildungen interessiert sind, bedrohen die Städte. Conradi wünscht sich dagegen Einmischung der Menschen, die in den Städten leben. Er wünscht sich, dass Stadtplanung und Architektur weniger an den Moden gemessen werden, sondern daran, ob sie die Bedürfnisse der Menschen erfüllen.
Der Vortrag Peter Conradis war ein Teil der Mittwochsreihe, die gemeinsam vom Stadtplanungsamt der Stadt Nürtingen, der Kreissparkasse Nürtingen und dem Studiengang Stadtplanung der Fachhochschule Nürtingen durchgeführt wird.
Wie eine Stadt aussieht bestimmen die Bürger
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